Studie zu Pflichtverteidigern für U-Häftlinge: Bestellung zu spät, Auswahl intransparent?

08.11.2013

Wer in Untersuchungshaft sitzt, dem muss im Zweifel ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Wissenschaftler befragten nun Strafverteidiger und Ermittlungsrichter, wie diese Regelung in der Praxis angewandt wird. Der DAV fordert, dass ein Pflichtverteidiger schon vor Beginn der Haft beigeordnet wird und dass die Auswahl durch die Gerichte transparenter erfolgt.

2010 wurde die Strafprozessordnung (StPO) geändert. Seitdem muss einem Beschuldigten, der sich in Untersuchungshaft befindet, zwingend ein Verteidiger beigeordnet werden, § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO. Zuvor musste dies nur auf Antrag geschehen und erst dann, wenn die Untersuchungshaft länger als drei Monate andauerte.

Im Auftrag des DAV hat nun die Forschungsstelle für Recht und Praxis der Strafverteidiung der Universität Frankfurt am Main diese Gesetzesänderung evaluiert. Professor Matthias Jahn stellte die Ergebnisse der Studie am Freitag anlässlich des 30. Herbstkolloquiums der DAV-AG Strafrecht vor.

Verteidiger und Ermittlungsrichter nicht einig

Die Wissenschaftler haben einen empirischen Ansatz gewählt und alle Mitglieder der DAV-AG Strafrecht sowie alle hessischen Ermittlungsrichter befragt. Von rund 3.2000 Strafverteidigern nahmen etwa 30 Prozent an der Befragung teil, von 60 Ermittlungsrichtern antwortete die Hälfte. Die meisten der Befragten haben mehr als zehn Jahre Berufserfahrung.

Im Ergebnis plädieren 80 Prozent der Strafverteidiger dafür, dass ein Pflichtverteidiger noch früher bestellt wird und zwar bereits zum Vorführungstermin beim Ermittlungsrichter (§ 115, 115a StPO) und nicht erst mit Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft. Fast 70 Prozent der Ermittlungsrichter sehen das anders. Sie befürchten, dass der Beschuldigte übereilt einen Verteidiger auswählt und später an diese Wahl gebunden ist.

Anwälte fordern mehr Möglichkeit des Verteidigerwechsels

Die Anwälte kritisierten zudem, dass sich Richter, die über die Beiordnung eines Pflichtverteidiger entscheiden, bei ihrer Auswahl davon leiten ließen, ob ein Anwalt zu ihrem persönlichen Bekanntenkreis gehört und ob er einen Verteidigungsstil ohne Konfliktbereitschaft pflegt. In der Regel werden bei den Gerichten sogenannte Verteidigerlisten geführt. Nach der Angabe von mehr als der Hälfte der Richter, aber weniger als einem Drittel der Verteidiger, können Dritte die Listen einsehen.

Nach dem Ergebnis der Studie sind die Listen meistens alphabetisch sortiert, selten nach formalen Qualifikationen wie einem Fachanwaltstitel. Erstellt werden die Listen in der Regel von den örtlichen Anwaltvereinen, den Rechtsanwaltskammern, den Strafverteidigervereinigungen, den Ermittlungsrichtern selbst oder sehr selten auch von den Staatsanwaltschaften. Eher selten werden diese Listen an die Beschuldigten weitergegeben.

Der DAV fordert mehr Transparenz bei der Auswahl der Pflichtverteidiger. Außerdem solle in der StPO klargestellt werden, dass ein Beschuldigter einen Verteidiger wechseln kann, den er während seiner Untersuchungshaft aus Verlegenheit gewählt, obwohl 64 Prozent der Befragten bestätigten, dass die Gerichte nach einer solchen "Verlegenheitswahl" in der Regel einen vereinfachten Verteidigerwechsel ermöglichten. Ein Drittel der Strafverteidiger teilt diese Einschätzung allerdings nicht.

cko/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Studie zu Pflichtverteidigern für U-Häftlinge: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9991 (abgerufen am: 13.11.2024 )

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