In Berlin kommt ein Fall vor Gericht, der wie ein Spionagethriller klingt. Ein hochrangiger BND-Mitarbeiter soll Staatsgeheimnisse an Russland verraten haben. Ein Fall, der auch politisch heikel ist.
Der Fall von Carsten L. platzte mitten hinein in den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Gerade als Deutschland wieder über Waffenlieferungen an die Ukraine diskutierte, wurde bekannt, dass ein hochrangiger Mitarbeiter des deutschen Auslandsnachrichtendienstes Bundesnachrichtendienst (BND) mutmaßlich für Russland spioniert hat. Der Generalbundesanwalt wirft ihm Landesverrat vor, in zwei Fällen in einem besonders schweren Fall (§ 94 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 Strafgesetzbuch, StGB). Ihm könnte eine lebenslange Freiheitsstrafe drohen.
Das Kammergericht in Berlin hat nun die Anklage zugelassen. Ab dem 13. Dezember wird der für Staatsschutzsachen zuständige 6. Strafsenat verhandeln, geplant sind 51 Termine bis in den Juli 2024 hinein. Ein Fall mit Stoff für einen Spionagethriller – und politisch heikel. Ein Nachrichtendienst - gerade in einer so konfliktreichen Zeit auf die Zusammenarbeit mit seinen ausländischen Verbündeten angewiesen - steht bei einem Verratsfall von solchem Gewicht besonders im Fokus.
Der 53 Jahre alte L. soll zwischen Mitte September und Anfang Oktober 2022 Dokumente aus dem internen Datensystem des BND an dessen Standorten in Pullach und Berlin ausgedruckt bzw. vom Computerbildschirm abfotografiert haben. Das Material soll er an den Geschäftsmann Arthur E übergeben haben., der von den Ausdrucken Fotos anfertigte und nach Moskau brachte, um sie dort dem russischen Geheimdienst FSB zu übergeben.
Den E. soll L. eher zufällig kennen gelernt haben bei einer Feier in der bayerischen Heimat des BND-Mannes, in Weilheim. L. soll freimütig von seiner Arbeit erzählt und damit offenbar das Interesse von E. geweckt haben, so berichten es WDR/NDR/SZ. E. soll vor allem als Diamantenhändler tätig gewesen sein, reiste viel. Er muss sich in dem Berliner Prozess nun als mutmaßlicher Mittäter des Landesverrats verantworten.
Treffen in Moskau und knapp eine Million Euro in bar
Im September und Oktober 2022 traf sich E. mehrfach mit FSB-Mitarbeitern in Moskau. Die Treffen sollen von dem gesondert verfolgten russischen Unternehmer arrangiert worden sein. Der Generalbundesanwalt (GBA) geht davon aus, dass während eines Treffens in Moskau im September 2022 ein FSB-Mitarbeiter E. eine Liste mit Fragen übergab, die für den Geheimdienst von besonderem Interesse waren. Es soll dabei auch um die Lieferung US-amerikanischer und deutscher Waffensysteme an die Ukraine gegangen sein. Zur Beantwortung soll BND-Mann L. wieder Informationen geliefert haben. E. leitete die Antworten im Rahmen eines Treffens im Oktober 2022 an den FSB weiter.
Die dem FSB offenbarten BND-Informationen waren geheimhaltungsbedürftig und stellten inhaltlich Staatsgeheimnisse im Sinne des § 93 StGB dar, davon geht die Anklage aus. In beiden Fällen führte die Mitteilung zur Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Was ein Staatsgeheimnis ist, definiert im StGB § 93: "Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden."
Der FSB entlohnte die beiden Männer für ihre Dienste mit 450.000 Euro (L.) bzw. mindestens 400.000 Euro (E.). Die Summen holte E. im November 2022 in bar in Moskau ab. Insbesondere bei dieser Gelegenheit sorgte L. dafür, dass E. bei seiner Wiedereinreise nach Deutschland am Flughafen aus einem vorgeblich dienstlichen Anlass an der Zollkontrolle "vorbeigeschleust" wurde.
Aufgrund von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs wurden L. am 21. Dezember 2022 und E. am 22. Januar 2023 festgenommen.
Vorfall sorgte für Gesetzesänderung
Der Vorfall hatte inzwischen sogar rechtspolitische Konsequenzen. Bei einer Reform des BND-Gesetzes wurden für den Auslandsnachrichtendienst wie auch für das Bundesamt für Verfassungsschutz neue Befugnisse zur Eigensicherung aufgenommen. Diese sehen nun auch Vollstreckungsmaßnahmen vor. Es mag erstaunen, aber das war den Diensten in eigener Sache bislang so nicht erlaubt. Der BND soll nun in Verdachtsfällen Fahrzeuge und Taschen seiner Mitarbeiter kontrollieren sowie Mobiltelefone auswerten dürfen.
Alles zur "Eigensicherung" vor Gegenspionage, eine eigene Einheit beim BND. Zuständig ist die unter anderem für die Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitern. Ausgerechnet diese Einheit stand zuletzt besonders in der Aufmerksamkeit, denn ironischerweise war der mutmaßliche Landesverräter L. zuletzt eben in diese sensible Abteilung "Eigensicherung" befördert worden – er sollte sie leiten. Die Beförderung kam wenige Wochen vor seiner Festnahme.
Spionage für Russland: . In: Legal Tribune Online, 30.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53306 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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