LSG Baden-Württemberg zu Schwerstbehinderung: Sozialhilfeträger muss Kosten für Kfz übernehmen

08.11.2012

Schwerstbehinderte Menschen haben einen Anspruch auf eine möglichst selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Mit dieser Begründung haben die Stuttgarter Richter einer jungen Frau die Kosten für die Anschaffung und den behindertengerechten Umbau eines Autos zugesprochen. Der zuständige Sozialhilfeträger hatte eine Kostenübernahme bis zuletzt verweigert.

Behinderten Menschen müsse die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben sowie der Kontakt zu ihrer sozialen Umwelt ermöglicht werden, so das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg. Dies sei der Klägerin nur mithilfe eines behindertengerechten Autos möglich. Mit Gutscheinen für ein Behindertentaxi könne dieses Ziel schon deshalb nicht in gleicher Weise erreicht werden, weil entsprechende Fahrzeuge am Wohnort der Frau überhaupt nicht und auch in der näheren Umgebung nicht in ausreichender Zahl vorhanden seien. Dass die Mutter das Kfz steuern müsse, stehe einem Anspruch der Tochter nicht entgegen, da die Hilfe angesichts der Art und Schwere der Behinderung nur auf diese Weise sichergestellt werden könne (Urt. v. 26.09.2012, Az. L 2 SO 1378/11).

Geklagt hatte eine mehrfach schwerstbehinderte und mittellose Frau, die zu Hause von ihrer Mutter versorgt und gepflegt wird. Sie kann weder sprechen noch sehen und sitzt im Rollstuhl. Selbst normales Sitzen ist ihr nur mit einem Korsett möglich. Da die Busse des öffentlichen Nahverkehrs im Heimatort der Klägerin nicht behindertengerecht ausgestattet sind, beantragte die Mutter die Übernahme der Kosten für die Anschaffung und den behindertengerechten Umbau eines Autos. Nur so sei ihre Tochter in der Lage, Urlaubsfahrten zu bewältigen, Verwandte und Freunde zu besuchen und an Veranstaltungen ihres Fastnachtsvereins teilzunehmen. Ohne ein entsprechendes Fahrzeug sei ihre Tochter vom sozialen und gesellschaftlichen Leben abgeschnitten.

Obwohl sowohl der Soziale Dienst des Sozialamts als auch das Gesundheitsamt den Antrag befürworteten, lehnte der zuständige Landkreis ab. Aufgabe der Sozialhilfe sei es nicht, einen sozialen Mindeststandard zu gewährleisten. Auch nichtbehinderte Menschen, die über kein Kfz verfügen, müssten ihre sozialen Kontakte auf andere Weise pflegen, z.B. indem sie sich selbst besuchen ließen.

Dem schlossen sich die Stuttgarter Richter nicht an.

tko/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

LSG Baden-Württemberg zu Schwerstbehinderung: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7499 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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