Nach deutschem Recht übernimmt das Finanzamt bei Steuerstraftaten die Funktion der Staatsanwaltschaft. Das heißt aber nicht, dass das Finanzamt eine Europäische Ermittlungsanordnung erlassen kann, so der EuGH-Generalanwalt.
Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung in Münster kann nicht selbstständig eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) erlassen, sondern muss sie zuvor von einer Justizbehörde validieren lassen. Dies geht aus den Schlussanträgen von Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona zur Rechtssache C-66/20 am Europäischen Gerichtshof (EuGH) hervor, die am Donnerstag veröffentlicht wurden.
Hintergrund ist eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen dem Finanzamt Münster und der Staatsanwaltschaft im italienischen Trient. Nach § 386 der Abgabenordnung (AO) führt das Finanzamt bestimmte Ermittlungsverfahren wegen Steuerstraftaten selbstständig durch. § 399 Abs. 1 AO bestimmt, dass es in diesen Fällen die Rechte und Pflichten wahrnimmt, die der Staatsanwaltschaft in Ermittlungsverfahren zustehen. Das Finanzamt wendete sich im November 2019 mit einer EEA an die italienischen Ermittler, mit der die Durchsuchung von Geschäftsräumen in einem Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung verfügt wurde. Unterzeichnet war die EEA vom Regierungsdirektor des Finanzamts. Die italienische Staatsanwaltschaft forderte jedoch noch die Validierung der EEA durch eine Justizbehörde.
Die Staatsanwaltschaft in Trient berief sich dabei auf die Richtlinie 2014/41, die die EEA in Strafsachen regelt. Nach der Richtlinie kann die EEA von einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft getroffen und erlassen werden sowie von jeder anderen Behörde, die "in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist". In diesem Fall muss die EEA aber von einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft überprüft werden.
Finanzamt bleibt Verwaltungsbehörde
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Trient hätte die EEA des Finanzamts daher der Validierung einer deutschen Justizbehörde bedurft. Das Finanzamt argumentierte dagegen, dass es in Verfahren wegen Steuerstraftaten die Funktionen der Staatsanwaltschaft bekleide und daher im Sinne der Richtlinie selbst als Justizbehörde angesehen werden müsse. Die italienische Staatsanwaltschaft ersuchte den EuGH daraufhin um Auslegung der Richtlinie.
Nach Ansicht des Generalanwalts entbinden die deutschen Regelungen das Finanzamt nicht von der Pflicht, vor der Übermittlung der EEA eine Validierung durch einen Richter, ein Gericht, einen Staatsanwalt oder einen Ermittlungsrichter einzuholen. Obwohl das Finanzamt im Einzelfall Ermittlungsaufgaben wahrnehme, die mit denen der Staatsanwaltschaft vergleichbar seien, sei es weiterhin als Verwaltungsorgan anzusehen, heißt es in den Schlussanträgen. Als solches sei das Finanzamt strukturell und funktionell der Verwaltungshierarchie unterworfen. Es verfüge insbesondere nicht über die unabdingbare Kompetenz, um die von der Richtlinie geforderte Beurteilung der Erforderlichkeit und der gegeneinander abzuwägenden Interessen vorzunehmen.
Erst im Dezember hatte der EuGH klargestellt, dass die deutsche Staatsanwaltschaft als zuständige Justizbehörde für den Erlass einer EEA angesehen werden kann. Ein österreichisches Gericht hatte daran gezweifelt, da die deutsche Staatsanwaltschaft Einzelweisungen der Exekutive unterliegt. Anders als im Falle des Europäischen Haftbefehls, bei dem der EuGH eine Ausstellungsbefugnis aufgrund mangelnder Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft verneinte, bestätigte das Luxemburger Gericht die Befugnisse in Bezug auf die EEA.
Die Schlussanträge sind für den EuGH nicht bindend, häufig folgt der Gerichtshof ihnen aber. Ein Urteil dürfte in einigen Monaten fallen.
acr/LTO-Redaktion
Schlussanträge des Generalanwalts: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44473 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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