Fahren ohne Fahrschein soll unter anderem in Mainz künftig nicht mehr angezeigt werden. Das hat der Stadtrat in Mainz beschlossen. Werden jetzt weitere Städte und Kommunen aktiv, weil der Gesetzgeber nicht tätig wird?
Das Thema Schwarzfahren wird in der öffentlichen Debatte schon lange heftig diskutiert. Aktuell stellt § 265a Strafgesetzbuch (StGB) das Erschleichen von Leistungen – zu diesen zählt unter anderem die Beförderung durch ein Verkehrsmittel – unter Strafe. Es droht Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.
Insbesondere auf diesen Tatbestand passt der aus dem Koalitionsvertrag resultierende Auftrag, das StGB systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche zu überprüfen. Die Ampel will vor allem historisch überholte Straftatbestände kritisch überprüfen, um die Modernisierung des Strafrechts und eine schnelle Entlastung der Justiz zu erreichen.
Das sah auch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) so. In seinem Ende vergangenen Jahres veröffentlichten Eckpunktepapier zur Modernisierung des StGB hat das BMJ unter anderem § 265a StGB als ein Delikt identifiziert, das verändert bzw. aufgehoben werden soll. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hält bei diesem Delikt eine Bestrafung für nicht angemessen, weil der Unrechtsgehalt sehr gering sei. Das "Schwarzfahren" soll nach einer geplanten Änderung nur noch eine Ordnungswidrigkeit darstellen.
Eine solche Reform befürworten viele, so etwa auch Prof. Dr. Thomas Fischer, der sich in seiner LTO-Kolumne dafür aussprach, Schwarzfahren solle nicht weiter bestraft werden. Doch umgesetzt ist die Reform bislang nicht. Dabei gibt es vor allem ein Problem zu beobachten: Insbesondere Menschen, die sich die Tickets nicht leisten können, fahren öfter schwarz. Zunächst drohen im Falle des Erwischtwerdens Geldstrafen, doch wenn auch die nicht gezahlt werden können, heißt es: Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB. Man muss ins Gefängnis.
Das ist nicht nur für die Betroffenen eine ernste Konsequenz. Auch die ohnehin überlasteten Justizvollzugsanstalten stehen durch Ersatzfreiheitsstrafen vor großen Problemen und müssen viel Aufwand für vergleichsweise geringen Unrechtsgehalt betreiben. Unter anderem im Zusammenhang mit dem Schwarzfahren wurde die Ersatzfreiheitsstrafe heftig kritisiert, was im Sommer vergangenen Jahres dazu führte, dass der Bundestag die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe beschloss.
Stadt Mainz will auf Strafanträge verzichten
Weil die Umsetzung der geplanten Reform also auf sich warten lässt, hat der Stadtrat in Mainz nun die Initiative ergriffen. Am 15. Mai hat er mehrheitlich beschlossen, das Fahren ohne gültigen Fahrschein zu "entkriminalisieren". Konkret gemeint ist damit: Es soll bei diesem Delikt kein Strafantrag mehr gestellt werden. Wer in Zukunft im Mainzer Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ohne gültiges Ticket fährt, kann zwar immer noch zivilrechtlich belangt werden. Auf die Strafanzeige soll die Mainzer Mobilität aber verzichten. Damit wurde ein entsprechender Antrag der Linken angenommen.
Konkret sieht § 265a Abs. 3 StGB vor, dass ein Strafantrag erforderlich ist, wenn sich die Tat ausschließlich gegen einen Angehörigen, Vormund, Betreuer oder Hausgenossen richtet (absolutes Antragsdelikt; Abs. 3 i.V.m. § 247 StGB) oder – insoweit hier relevanter – nur eine geringwertige Leistung erschlichen wird (relatives Antragsdelikt; Abs. 3 i.V.m. § 248a StGB). Ein relatives Antragsdelikt kann ohne Strafantrag nur dann verfolgt werden, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung dies gebietet.
Auf diesen Strafantrag sollen die Verkehrsbetriebe nach dem Beschluss des Stadtrats nun verzichten. Wie diese "Weisung" konkret ausgestaltet sein soll, ist noch nicht bekannt, der Beschluss des Stadtrats ist bisher nicht veröffentlicht.
Zivilrechtlich sollen die Verkehrsbetriebe aber in jedem Fall weiter gegen Schwarzfahrer vorgehen. Wer erwischt wird, muss nach wie vor ein sogenanntes erhöhtes Beförderungsentgelt entrichten in Höhe von oft circa 60 Euro. Hierbei handelt es sich um eine Vertragsstrafe.
Auch Wiesbaden drückt ein Auge zu, Frankfurt dagegen nicht
Auch die Stadt Wiesbaden hat ihre Beteiligungsgesellschaft ESWE Verkehr beauftragt, "auf die Stellung eines Strafantrags bei Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs ohne Fahrschein zu verzichten". "Die Regelungen zum erhöhten Beförderungsentgelt beim Fahren ohne gültigen Fahrschein blieben hiervon unberührt", heißt es auch in dem Beschluss der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung. Als Grund nennt die Kommune, dass das Anzeigen von Fahren ohne Fahrschein häufig zu Ersatzfreiheitsstrafen führe, da insbesondere ärmere Menschen häufiger schwarz führen und die verhängten Geldstrafen nicht bezahlen könnten.
Während die Landeshauptstädte von Rheinland-Pfalz und Hessen, Mainz und Wiesbaden, nicht mehr strafrechtlich gegen Fahren ohne Fahrschein vorgehen, machen andere große Städte indessen weiter wie bisher. Ludwigshafen, Frankfurt und Koblenz teilten mit, dass wiederholtes Fahren ohne Fahrschein bei ihnen weiter angezeigt werde.
Ein Sprecher der Stadt Ludwigshafen erläutert hierzu, in seiner Kommune sei es "kein Thema, dieser Entscheidung der Stadt Mainz zu folgen. Die Fahrscheinkontrollen des Verkehrsunternehmens rnv finden – auch in Ludwigshafen – unverändert statt." Auch aus Frankfurt heißt es, Schwarzfahren könne hier weiterhin geahndet werden, "und zwar als Straftat, nicht als Ordnungswidrigkeit".
Die Strafbarkeit entfällt nicht
An dem Straftatbestand selbst können die Städte natürlich nicht rütteln. "Durch die Entscheidung, hiervon regelmäßig abzusehen, entfällt nicht die Strafbarkeit des in Rede stehenden Verhaltens, sondern lediglich die tatsächliche Möglichkeit der Strafverfolgung", erläutert ein Sprecher des Justizministeriums Rheinland-Pfalz. Auch bewirke ein Verzicht auf Strafanzeige nicht, dass das Fahren ohne Ticket automatisch zu einer Ordnungswidrigkeit werde. Zuständig für eine solche Herabstufung wäre der Bundesgesetzgeber und nicht der Mainzer Stadtrat, teilt der Sprecher weiter mit.
Die Kritik am Straftatbestand des § 265a StGB war in der Vergangenheit teilweise so weit gegangen, dass Initiativen gegründet wurden. Arne Semsrott beispielsweise gründete den "Freiheitsfonds". Mit Spendengeldern kauft die Initiative Menschen frei, die sonst eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen müssten, weil sie sich eine Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht leisten können. "Vor 'ner Woche hatten wir einen Fall, von einem Mann in Bayern, der zu insgesamt neun Monaten Haft verurteilt wurde, weil er zehn- oder elfmal ohne Ticket gefahren ist. Da ist ein Schaden in Höhe von 140 Euro entstanden, der letztlich dazu geführt hat, dass der Mann zu 270 Tagen Haft verurteilt wurde. Aus dem Urteil, dass wir dann gesehen haben, ging hervor, dass der so oft ohne Ticket gefahren ist, weil er zur Dialyse musste. Der war ganz einfach krank", hieß es damals.
dpa/cho/LTO-Redaktion
Städte wollen nicht auf StGB-Reform warten: . In: Legal Tribune Online, 23.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54603 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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