Kurz vor Fristablauf hat der Bundestag die Reform des Nachrichtendienstrechts beschlossen – zumindest die drängendsten Aspekte. Neu sind Regelungen zur Datenübermittlung an die Polizei und Behörden, sowie gegen Verrat aus den eigenen Reihen.
Am Donnerstagabend standen noch zwei besonders dringende Punkte auf der Tagesordnung des Bundestages: die Verabschiedung des Entwurfs eines Gesetzes zum ersten Teil der Reform des Nachrichtendienstrechts und des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des BND-Gesetzes (BNDG). Über die geplanten Gesetzesänderungen wurde intensiv unter den Abgeordneten diskutiert, insbesondere weil für eine Einigung nicht mehr viel Zeit blieb. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte für die Neuregelung wichtiger Vorschriften eine Frist bis zum Ende des Jahres 2023 gesetzt. Angesichts der Fristen im Gesetzgebungsverfahren kam die Einigung auf den letzten Drücker.
Etwas mehr als ein Jahr zuvor, im September 2022 hatten die Karlsruher Richter die Regelungen zur Datenweitergabe durch den Bundesverfassungsschutz an die Polizei und Staatsanwaltschaft für verfassungswidrig erklärt. Zuvor hatte eine weitere BVerfG-Entscheidung aus dem Frühjahr Nachbesserungen angemahnt. Konkret ging es dabei um die Regeln für die Übermittlung von Informationen nach den §§ 20, 21 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG). Da der Bundesnachrichtendienst (BND) seine Daten gemäß § 11 Absatz 3 des BNDG entsprechend der Regelung für den Bundesverfassungsschutz übermittelt, gab es auch hier Handlungsbedarf.
BND bekommt mehr Befugnisse im eigenen Haus
In Folge des BVerfG-Urteils beschränkte der Bundestag die Datenweitergabe der deutschen Nachrichtendienste an Polizei und Staatsanwaltschaft, aber auch an andere Behörden wie Waffenbehörden oder generelle Ämter, die auf Verfassungsfeinde in den eigenen Reihen ihrer Beamten aufmerksam werden sollen. Dem BND, dem Verfassungsschutz und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) ist die Weitergabe von Daten und Informationen künftig nur noch unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt - etwa wenn es um besonders schwere Straftaten geht. Das wird etwa nur möglich für Straftaten, bei denen eine Mindestfreiheitsstrafe von zehn Jahren droht, bzw. von fünf Jahren, wenn die Tat außerdem staatsschutzrelevant ist. Zudem wird die Mindestschwelle der "konkretisierten Gefahr" definiert, ab der eine Übermittlung möglich sein soll. Damit ist das Bundesinnenministerium, aus dessen Feder der Entwurf zum ersten Teil der Reform des Nachrichtendienstrechts stammt, von der zuvor kritisierten Formulierung der nur "drohenden Gefahr" abgewichen. Die Übermittlung an private Stellen etwa an die Einrichtung eines De-Radikalisierungsprogramms kann nur noch ausnahmsweise erfolgen.
Ohne die Neuerung dieser Normen hätte die Weitergabe von Daten zum Jahresende komplett eingestellt werden müssen.
Außerdem sollen sich die Nachrichtendienste durch die neuen Regelungen besser gegen Spionage aus den eigenen Reihen absichern können. Unter anderem ermöglichen die Gesetzesänderungen den Geheimdiensten nun zum Beispiel die verdachtsunabhängige Kontrolle und Durchsuchung von Personen, Taschen und Fahrzeugen in den eigenen Räumlichkeiten.
Anlass für den erhöhten Bedarf an Eigensicherung war ein mutmaßlicher Verratsfall beim BND im vergangenen Jahr. Der leitende BND-Mitarbeiter Carsten L. war in Berlin unter Spionage-Verdacht festgenommen worden. Er soll nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Informationen aus seinem Arbeitsumfeld an Moskau weitergegeben haben.
Beitrag der Union "wäre halt schon cool" gewesen
Die Gesetzesänderung sei "wichtig für die Sicherheitsarchitektur unseres Landes", erklärte Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Zum Schutz der Demokratie und des Landes sei die effektive Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden essenziell.
Im Bundestagsplenum kam es am Donnerstagabend noch zu einem Schlagabtausch. Stefan Heck (CDU/CSU) sieht die Hürden für Datenübermittlung als zu hoch. Seine Auffassung illustriert er mit einem Beispiel: "Plant eine extremistische Gruppe zur Eigenfinanzierung einen nächtlichen Bankraub, ohne dass Bankmitarbeiter anwesend sind, dann darf der Verfassungsschutz nach Ihren Vorschlägen entsprechende Erkenntnisse künftig nicht mehr an die Polizeibehörden weitergeben, weil die Schutzgüter in § 19 Absatz 3 BVerfSchG unnötig eng gezogen sind." Außerdem sei die Reform zu spät gekommen.
Konstantin von Notz, Vorsitzender des Geheimdienstkontrollgremiums für die Grünen, hielt im Plenum dagegen. Zwar könne man den Zeitpunkt der Reform kritisieren. "Aber es wäre halt schon cool, wenn man als größte Oppositionspartei selbst zumindest einen schnöden Antrag hier vorlegen würde, wenn das schon so ein wichtiges Gesetzgebungsverfahren ist, vielleicht sogar einen eigenen Gesetzentwurf", meinte von Notz. "Gar nichts haben Sie hier vorgelegt. Sie stehen hier nackt im Novemberwind mit gar nichts auf der Platte, und dabei kommt die für verfassungswidrig erklärte Norm aus der Feder der Union."
Weitere Reform soll 2024 folgen
Mit Blick auf die BVerfG-Entscheidungen hat die Ampel aber eigentlich erst einen kleinen Teil der Reform hinter sich gebracht. In einem zweiten Schritt will die Koalition im nächsten Jahr weitere Änderungen beschließen - darunter konkrete Regeln für den Einsatz sogenannter V-Leute, die Informationen aus Extremistenkreisen liefern und eine Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendiensten. Für diese Regelungen hatte das BVerfG ebenfalls die Notwendigkeit einer Überarbeitung festgestellt.
lmb/LTO-Redaktion
In Reaktion auf BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 17.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53199 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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