Polen auf dem Rückweg zur Rechtsstaatlichkeit: EU-Kom­mis­sion kün­digt Ende von Artikel-7-Ver­fahren an

06.05.2024

Polen stand wegen mutmaßlicher Verstöße gegen europäische Werte jahrelang im Kreuzfeuer der Kritik und musste sogar den Entzug von EU-Stimmrechten fürchten. Nun zeigt der Regierungswechsel Wirkung.

Polen kann ein halbes Jahr nach dem Regierungswechsel auf ein schnelles Ende des EU-Verfahrens wegen mutmaßlicher Verstöße gegen europäische Werte hoffen. Die EU-Kommission kündigte am Montag in Brüssel an, dass sie keine Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit mehr sieht und ein Ende des Verfahrens anstrebt.

Das sogenannte Artikel-7-Verfahren gegen Polen war 2017 eingeleitet worden, nachdem die damalige nationalkonservative PiS-Regierung begonnen hatte, das Justizwesen umzubauen. Ein solches Rechtsstaatlichkeitsverfahren nach Art. 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) setzt die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der europäischen Werte durch einen Mitgliedstaat voraus und wird vom Rat initiiert. Unter Umständen können dem Mitgliedstaat bestimmte Rechte, darunter auch Stimmrechte bei EU-Entscheidungen, entzogen werden (Art. 7 Abs. 3 EUV).

Die neue polnische Regierung hatte den EU-Partnern im Februar einen Reformplan für die Beseitigung von rechtsstaatlichen Defiziten präsentiert. Die für die Prüfung zuständige EU-Kommission zeigte sich bereits danach optimistisch, dass mit ihm die Unabhängigkeit der Justiz in Polen wieder hergestellt werden kann. Unabhängig von dem Artikel-7-Verfahren wurden jüngst auch schon EU-Fördergelder in Höhe von 6,3 Milliarden Euro freigegeben, die lange wegen der Rechtsstaatlichkeitsbedenken zurückgehalten worden waren.

Von der Leyen gratuliert Ministerpräsident Tusk

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte nun: "Nach mehr als sechs Jahren glauben wir, dass das Artikel-7-Verfahren beendet werden kann." Sie gratuliere Ministerpräsident Donald Tusk und seiner Regierung zu diesem wichtigen Durchbruch. Dieser sei das Ergebnis harter Arbeit und entschlossener Reformbemühungen. Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit in Polen sei großartig für das polnische Volk und für die EU als Ganzes.

Die Eingriffe in das polnische Justizsystem, die die PiS mit ihren umstrittenen Reformen vorgenommen hatte, waren schwerwiegend. Entsprechend langwierig und zäh ist es für Tusk, die Justizreformen wieder zurückzudrehen.  Bereits im Januar hatte Justizminister Adam Bodnar angekündigt, dass man die Nominierung von Richtern wieder von der Politik entkoppeln wolle. Ein entsprechender Gesetzentwurf, wurde vor zwei Wochen von der ersten Kammer des Parlaments verabschiedet. 

Noch nicht alle Hindernisse sind überwunden 

Die frühere nationalkonservative PiS-Regierung hatte 2018 eine Reform eingeführt, nach der 15 der insgesamt 25 Mitglieder des Landesjustizrates – der Richter für frei werdende Stellen nominiert – durch das Parlament ernannt wurden. Zuvor hatten Richter die Mehrheit der Mitglieder bestimmt. Dieser Schritt brachte Polen in Konflikt mit der EU-Kommission. Der Europäische Gerichtshof kritisierte, der Landesjustizrat sei ein Organ, das "von der polnischen Exekutive und Legislative wesentlich umgebildet wurde", an seiner Unabhängigkeit gebe es berechtigte Zweifel.

Künftig sollen wieder allein Richter unterschiedlicher Gerichte über die 15 Sitze im Landesjustizrat bestimmen. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, soll der Landesjustizrat neu gewählt werden – das alte, nach den Regeln der PiS gebildete Gremium, wird abgelöst. Damit es dazu kommen kann, muss der Gesetzentwurf zunächst aber noch die zweite Kammer des Parlaments, den Senat, passieren und von Präsident Andrzej Duda unterzeichnet werden. Dieser letzte Schritt könnte zu einer Hürde für das Projekt werden: Duda stammt aus den Reihen der PiS und hat immer wieder deutlich gemacht, dass er deren Politik stützt. Er könnte das nach Gesetz also torpedieren.  

Das Verfahren gegen Polen war das erste Artikel-7-Verfahren in der Geschichte der EU. Das einzig weitere Rechtsstaatlichkeitsverfahren läuft derzeit gegen Ungarn. Dort steht Ministerpräsident Viktor Orban unter dem Verdacht, die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit einzuschränken und Korruption zu fördern.

Offiziell beendet wird das Verfahren nach Art. 7 Abs. 4 EUV erst mit einem formellen Beschluss des Rates. Dieser soll bei einem Ministertreffen am 21. Mai gefällt werden, sofern die anderen Mitgliedstaaten keine Einwände erheben.

dpa/lmb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Polen auf dem Rückweg zur Rechtsstaatlichkeit: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54491 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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