So einig waren sich Union und Linke wohl lange nicht mehr: Beide Oppositionsparteien kritisieren die geplante Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung scharf. Die Linksfraktion will einen entscheidenden Schritt gehen.
Die Linksfraktion im Bundestag hat angekündigt, gegen die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu ziehen, sollte diese beschlossen werden. "Ich sage ganz klar: Da werden wir auch das Bundesverfassungsgericht bemühen", sagte der Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch am Dienstag den Sendern RTL/ntv. Man werde alles versuchen, dass dieses Gesetz so nicht Realität werde - letztlich sei das ein Angriff auf die Demokratie.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz droht der Ampel-Koalition ebenfalls mit einer Überprüfung durch das BVerfG. Wenn es im Bundestag eine Mehrheit für die veränderten Pläne gebe, "ist aus meiner Sicht eine verfassungsrechtliche Überprüfung in der Tat geboten", sagte Merz, der auch CDU-Chef ist, am Dienstag vor einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. Er werde vorschlagen, die Pläne bei der am Freitag geplanten Abstimmung abzulehnen.
Die Unionsfraktion werde für den Fall eines entsprechenden Bundestagsbeschlusses in der nächsten Sitzungswoche Ende März eine Entscheidung über eine mögliche Klage treffen, kündigte Merz an. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nannte das Vorgehen der Ampel "schlichtweg respektlos und unfair". Es "muss deswegen aus unserer Sicht vom Verfassungsgericht überprüft werden".
Die Pläne der Ampel sehen eine Verkleinerung des Bundestags von 736 auf dauerhaft 630 Abgeordnete nach der nächsten Wahl 2025 vor. Neben den Überhang- und Ausgleichsmandaten soll die sogenannte Grundmandatsklausel gestrichen werden, nach der Parteien auch dann in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen können, wenn sie weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten. Sie müssen dafür mindestens drei Direktmandate über die Erststimmen gewinnen. Das traf bei der Wahl 2021 auf die Linke zu. Die Grundmandatsklausel sei vor drei Wochen noch im Gesetzentwurf enthalten gewesen, plötzlich sei sie gestrichen worden, beklagte Bartsch.
Dobrindt sieht Bundesstaatsprinzip gefährdet
Die Pläne beträfen ausdrücklich die Opposition im Bundestag, die Ampel schnitzte sich demnach ein Wahlrecht, sagte Dobrindt. Man teile zwar das Ziel der Verkleinerung des Bundestags und bleibe gesprächsbereit. Die bisherigen Gespräche mit den Ampelvertretern seien konstruktiv, aber ergebnislos gewesen.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich verteidigte das Vorhaben der Ampel-Fraktionen und begründete die Streichung der Klausel mit möglichen Klagen dagegen. "Die öffentliche Anhörung hat gezeigt, dass die Grundmandatsklausel heute schon ein Element ist, das weder verfassungs- noch wahlrechtlich begründbar ist", schreibt er in einem Brief an die sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Zudem stelle die Klausel einen Systembruch dar, weil sie den falschen Eindruck einer Personenwahl vermittele, obwohl die Bundestagswahl eine Verhältniswahl sei. "Im neuen Wahlsystem fällt dies noch schwerer ins Gewicht und kann als Einfallstor für eine erfolgreiche Klage gegen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht dienen", heißt es in dem Schreiben.
Dobrindt zufolge ist ein Streichen der Grundmandatsklausel eine Gefährdung des Bundesstaatsprinzips und eine Missachtung des Föderalismusprinzips, das sich im Grundgesetz wiederfinde. Die Klausel sei essenzieller Bestandteil eines föderalen Prinzips, weshalb die CSU den Plänen ohne diese Klausel nicht zustimmen werde. Zudem kritisierte auch der CSU-Politiker, dass mit den Plänen der Ampel ein Schaden für die demokratische Kultur und die Zusammenarbeit der Parteien im Bundestag entstehe.
FDP und Grüne verteidigen Pläne
Mützenich schreibt in seinem Brief jedoch, die Reform stärke die Legitimität des Parlaments. "Wir beweisen mit diesem Gesetz, dass Politik in der Lage ist, auch Reformen zu verabschieden, deren Restriktionen sie selbst betreffen und setzen damit ein wichtiges Zeichen gegen die um sich greifende Politikverdrossenheit."
Die Führung der Grünen verteidigte die Ampel-Pläne. Der großen Koalition aus Union und SPD sei es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, eine Reform auf den Weg zu bringen, die den Bundestag spürbar verkleinert, sagte Parteichefin Ricarda Lang. "Und das war ehrlich gesagt ein großes Versagen." Dies habe Vertrauen in die Demokratie gekostet. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge lud die Opposition ausdrücklich dazu ein, dem Gesetzentwurf der Ampel zuzustimmen und wies darauf hin, dass jede Fraktion im Bundestag von einer Verkleinerung des Parlaments betroffen sein wird.
Auch die FDP wirbt um Unterstützung der Reform. Nachdem die Ampelfraktionen noch einmal einen deutlichen Schritt auf die Union zugemacht hätten, wünsche er sich, "dass auch die Union sich bewegt", sagte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr, am Dienstag in Berlin. "Immer nur Nein sagen ist keine Option beim Wahlrecht." Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, betonte: "Die Verkleinerung des Bundestags passiert auf die fairst denkbare Weise, nämlich absolut proportional für alle Fraktionen." Mit der Reform werde verhindert, dass der Bundestag bei kommenden Wahlen weiter anwächst. "Das ist sehr wichtig, weil die Politik auch zeigen muss, dass sie in der Lage ist, sich selber zu reformieren, wenn sie das Land reformieren will."
dpa/acr/LTO-Redaktion
Wahlrechtsreform der Ampel: . In: Legal Tribune Online, 14.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51312 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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