Die Polizei will Fußballfans vor einem Stau bei Kontrollen vor dem Stadion des MSV Duisburg warnen - mit einem Foto bei Twitter. Eine Frau aus Magdeburg ist auch dabei, fühlt sich in ihren Grundrechten verletzt und zieht vor Gericht.
Mit dem nicht immer leichten Verhältnis zwischen Fußballfans und der Polizei beschäftigt sich am Donnerstag das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG). Anlass ist ein Spiel der Dritten Fußballbundesliga im Februar 2017. Damals trat der 1. FC Magdeburg in Nordrhein-Westfalen beim MSV Duisburg an. Im Rahmen einer geplanten Durchsuchungsaktion am Gästeeingang twitterte die Polizei damals ein Foto von Magdeburger Fans, auf dem auch die Klägerin zu sehen ist. Die Beamten wollten die Besucher damit vor einem Stau an der Einlasskontrolle warnen. Die Klägerin jedoch fühlt sich durch die Verbreitung des Fotos in ihren Grundrechten verletzt. Die Frau aus Magdeburg zog in der ersten Instanz vor das Verwaltungsgericht Düsseldorf, unterlag dort jedoch (Urt. v. 6.6.2019, Az. 18 K 16606/17). Das OVG in Münster muss jetzt klären, ob es diese juristische Bewertung teilt (Az. 5 A 2808/19).
Verstärkte Kontrollen bei Risikospiel
Im Vorfeld hatten die Sicherheitsbehörden die Begegnung als Risikospiel eingeschätzt. Die Polizei befürchtete den Einsatz von verbotener Pyrotechnik durch beide Fanlager. Am Ende gab es 18 Strafanzeigen, zwölf davon gegen Magdeburger Fans. 17 Stadionbesucher kamen in Polizeigewahrsam, darunter waren elf Fans des 1. FC.
Am Stadion in Duisburg wurde deshalb am Gästeeingang eine Kontroll- und Sicherheitsschleuse eigerichtet. Und genau darum dreht sich der Streit vor dem OVG. Die Polizei twitterte ein Foto von der Situation, als sich ein Stau bildete. Rund 100 Magdeburger Fans hatten sich weiße Regencapes übergezogen. Damit sollte im Stadion zusammen mit blauen Flaggen eine Choreographie in den Vereinsfarben entstehen. Angemeldet war diese Choreographie nicht. Die Polizei ging deshalb auch von etwas anderem aus.
Der Einsatzleiter vermutete, dass unter den Capes, die nicht zu öffnen waren, verbotene Pyrotechnik ins Stadion geschmuggelt werden sollte. Außerdem waren die Träger der Regencapes - bei teils sonnigen, teils bewölkten Himmel, aber regenfreiem Wetter - mit Hilfe der Videoüberwachung so nicht zu identifizieren.
Daraufhin sperrte die Polizei den Zugang, um wie geplant zu kontrollieren. Der Einsatzleiter forderte die Fans auf, die Capes abzulegen. Die weigerten sich, blieben stehen und nachströmende Fans sorgten für Druck. Einige Fans drohten damit, den Eingang zu stürmen. Die Polizei drohte mit dem Einsatz eines Wasserwerfers.
Daraufhin twitterte die Polizei um 17.44 Uhr: "#MSVFCM Stau am Gästeeingang, einige Fans haben sich Regencapes angezogen, um die Durchsuchung zu verhindern." Mit verbreitet wurde ein Foto von 17.36 Uhr. Darauf waren zum Großteil mit Capes bekleidete Fans zu sehen. Und hier setzt die Klage der Frau an. Zwar wurde der Tweet der Polizei später wieder gelöscht, aber die Klägerin sieht ihre Grundrechte verletzt. Nach ihrer Auffassung war sie auf dem Foto zu identifizieren. Sie sei mehrfach auf das Foto angesprochen worden.
VG Düsseldorf: Polizei durfte Foto twittern
Das Verwaltungsgericht hatte die Klage in erster Instanz schon mangels Feststellungsinteresses als unbegründet angesehen, äußert sich aber dennoch zur Twitternutzung der Polizei. Diese habe die Situation dokumentieren wollen, um eine weitere Eskalation zu verhindern, heißt es in der Urteilsbegründung vom 16. Juni 2019. Die Polizei habe im Sinne der öffentlichen Sicherheit gehandelt, heißt es in der Urteilsbegründung. Das Gericht merkte an, dass es auch durchaus Zweifel daran gebe könne, dass es bei den Capes nur um die geplante Choreographie gegangen sei. Denn die Jacken hätten ja auch erst im Stadion angezogen werden können und nicht bereits vor dem Einlass und der Kontrolle.
Auch habe die Polizei bei dem Twittereintrag durchaus differenziert. Sie habe nicht bei allen Fans den Verdacht gehabt, dass die Capes für Straftaten genutzt werden sollten, sondern nur bei einigen. Das Verwaltungsgericht sah den Twitter-Eintrag im Einklang mit dem NRW-Polizeigesetz. Außerdem sei die Frau auf dem Foto nicht zu erkennen gewesen. Ein Eingriff in ihre Grundrechte sei demnach nicht möglich.
Twitterfotos der Polizei dürfen nicht wie Überwachung wirken
Das OVG hatte sich bereits 2019 mit Fotos der Polizei bei Twittereinträgen beschäftigt. Damals ging es allerdings um eine Demonstration und nicht um ein Fußballspiel. Das Gericht in Münster hatte es der Polizei untersagt, Fotos zu machen und zum Beispiel über den Kurznachrichtendienst Twitter zu verbreiten. Die Kläger waren auf den Fotos als Teilnehmer zu erkennen. Der Eindruck von staatlicher Überwachung dürfe bei einer Demonstration nicht entstehen. Das sei ein Eingriff ins Versammlungsrecht, stellte das OVG damals klar. "Polizisten die fotografieren, schüchtern ein, schrecken ab und wirken so auf die Versammlung ein", urteilten die obersten NRW-Verwaltungsrichter.
Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts muss die Polizei als staatliche Funktionsträgerin sachlich, richtig und neutral berichten. Bei Versammlungen müsse sie zurückhaltend sein und dürfe vor allem keine Wertung gegenüber der Legitimität des Protestes äußern. Im Fall der Klage der Frau aus Magdeburg hatte das Verwaltungsgericht allerdings ausdrücklich betont, dass die Fußballfans "vorliegend ersichtlich nicht zum Zweck der Teilhabe an öffentlicher Meinungsbildung zusammengekommen" waren.
Kürzlich hatte Dr. Carsten Schier auf LTO ein Regelungsdefizit im Hinblick auf die Twitterbefugnisse der Polizei kritisiert. Die Maßstäbe des BVerwG seien nicht konkret genug. Es fehlten klare Regeln. Problematisch seien in diesem Zusammenhang auch Falschinformationen, etwa Anschuldigungen gegenüber Demonstranten. Je mehr die öffentliche Diskurssphäre sich in digitale Räume verschiebe, desto dringlicher sei es, dass die rechtlichen Vorgaben für diesen Bereich "mitwachsen". Es müssten daher bindende und gesellschaftlich akzeptierte Vorgaben geschaffen werden.
dpa/ast/LTO-Redaktion
Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht NRW: . In: Legal Tribune Online, 10.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49831 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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