Die Bundesregierung bekommt Hausaufgaben vom OVG Münster: Künftig muss sie durch geeignete Maßnahmen die US-Drohneneinsätze via Ramstein kontrollieren. Ob das Urteil aber wirklich mehr Schutz für Zivilisten bedeutet, ist fraglich.
Dei drei Jemeniten, die die Bundesregierung wegen ihrer Unterstützung von US-Kampfdrohnen in ihrem Heimatland verklagt hatten, haben vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster einen Teilerfolg erzielt. In einem überraschenden Urteil gab das Gericht der Regierung auf, künftig dafür Sorge zu tragen, dass Kampfdrohnen, die über die US-Airbase im rheinland-pfälzischen Ramstein gesteuert werden, keine völkerrechtswidrigen Einsätze fliegen (Urt. v. 19.03.2019, Az. 4 A 1361/15).
Die Männer hatten geklagt, weil sie nach dem Tod von Angehörigen in ihrem Heimatdorf im Jemen, der nach ihren Angaben die Folge eines rechtswidrigen Drohnenangriffs der USA war, um ihr eigenes Leben und das ihrer Familie fürchteten. Der Angriff wurde bislang nicht von einer unabhängigen Stelle untersucht. Sie stützten sich darauf, dass die Bundesregierung aus der Lebensschutzgarantie in Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) auch verpflichtet sei, das Leben von Ausländern außerhalb der Bundesrepublik zu schützen, soweit sie darauf Einfluss hat.
Diesen Einfluss schrieb man dem Bund aufgrund der Tatsache zu, dass die US-Drohnen, die im Jemen - so legen es zahlreiche Berichte von internationalen Medien und Menschenrechtsorganisationen jedenfalls nahe - eingesetzt werden, über die US-Militärbasis in Ramstein gesteuert werden. Notwendig macht das die Erdkrümmung, aufgrund derer das Signal aus den USA sonst nur mit erheblicher Verzögerung eintreffen würde. Die Signale werden daher über Ramstein umgeleitet, das inzwischen als der größte Knotenpunkt für Drohnensignale außerhalb der USA gilt und für das globale Drohnenprogramm der Amerikaner unverzichtbar ist.
Die Kläger behaupteten, dass die so gesteuerten Drohnen völkerrechtswidrige Angriffe durchführen, bei denen auch immer wieder Zivilisten zu schaden kämen. Nachdem sie mit einer Klage in den USA zunächst gescheitert waren, forderten sie nun von der Bundesregierung, die illegalen Einsätze über Ramstein zu unterbinden.
Gericht sieht "gewichtige Anhaltspunkte" für Völkerrechtsbrüche durch die USA
Das VG Köln erkannte zunächst zwar eine grundsätzliche Schutzpflicht der Bundesregierung auch für Ausländer außerhalb Deutschlands an, sah aber keinen Raum dafür, zu verlangen, dass man US-Drohnen die Unterstützung von Ramstein verweigern müsse. In außenpolitische Belange, so der vorsichtige Duktus der Kölner Verwaltungsrichter damals, könnten sich Gerichte nur bedingt einmischen. Einer völkerrechtlichen Bewertung der US-Droheneinsätze enthielt man sich damit auch.
Anders nun aber das OVG in der Berufung: Die Bundesregierung müsse die Drohnenangriffe über Ramstein zwar nicht, wie die Jemeniten gefordert hatten, unterbinden. Sie sei aber durch ihre grundrechtliche Schutzpflicht für das Leben dazu verpflichtet, zu prüfen, ob die Nutzung der Air Base Ramstein durch die Vereinigten Staaten für Einsätze von bewaffneten Drohnen im Einklang mit dem Völkerrecht stattfinde. Sie müsse sich vergewissen, "ob die generelle Praxis der amerikanischen Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen, soweit dabei Einrichtungen in Deutschland genutzt werden, mit dem geltenden Völkerrecht in Einklang steht", so der Vorsitzende des 4. Senats bei der Urteilsverkündung.
Seine weiteren Worte waren mindestens ebenso bedeutungsschwer: Es bestünden, so das Gericht, "gewichtige (...) Anhaltspunkte dafür, dass die USA unter Verwendung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein und dort stationierten eigenen Personals bewaffnete Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen durchführen, die zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstoßen (...)". Mit anderen Worten: Das OVG verlässt sich nicht auf die Zusicherungen von amerikanischer Seite, völkerrechtskonform zu handeln, sondern schenkt vielmehr den zivilen und medialen Berichten Glauben, die mitunter Gegenteiliges nahelegen. Auch bezog man sich auf die Feststellungen des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags und andere offizielle Informationen , welche zumindest die zentrale Rolle der Satelliten-Relaisstation in Ramstein für Einsätze bewaffneter US-Drohnen auch im Jemen belegten.
OVG öffnet Tür zu außenpolitischer Einmischung
Das OVG hätte sich kaum deutlicher von den Ausführungen des VG Köln in der ersten Instanz absetzen können: Die Frage, ob die Drohneneinsätze im Jemen zulässig seien, sei keine politische, sondern eine rechtliche, stellte man fest. Die Kölner Richter hatten noch das Gegenteil behauptet. Somit öffnete das Gericht die Tür zur außenpolitischen Einmischung deutscher Gerichte.
Der Einsatz bewaffneter Drohnen sei zwar nicht per se rechtswidrig, befand das Gericht. Allerdings seien dabei strikt die Vorgaben des humanitären Völkerrechts zu beachten, die u. a. willkürliche Tötungen verbieten. Weiterhin stellte man zwar fest, dass im jemenitischen Bürgerkrieg zwar ein bewaffneter Konflikt zu sehen sei, Angriffe sich aber grundsätzlich nur gegen Kämpfer der beteiligten bewaffneten Gruppen sowie gegen andere Personen, die unmittelbar daran teilnehmen, richten dürften.
Nach der Auswertung der zur Verfügung stehenden Quellen habe man nun "Zweifel, ob die generelle Einsatzpraxis für Angriffe auch im Jemen diesem Unterscheidungsgebot des humanitären Völkerrechts genügt", so das OVG. "Indem alle mit al-Qaida 'assoziierten' Kräfte umfassend als Beteiligte an einem weltweiten bewaffneten Konflikt angesehen werden, selbst wenn Zeit und Ort eines möglichen Angriffs noch ungewiss sind, bleibt unklar, ob sich direkte bewaffnete Angriffe im Jemen auf zulässige militärische Ziele beschränken." Eben diese Zweifel muss die Bundesregierung, die in der Verhandlung eingeräumt hatte, dass nach ihrer Kenntnis keine unabhängigen Untersuchungen von Drohnenangriffen der Vereinigten Staaten stattgefunden hätten, nach Ansicht des Gerichts nun ausräumen. Sie trifft damit eine aktive Nachforschungspflicht, um das Leben unbeteiligter Zivilisten im Ausland zu schützen.
Unabhängige Untersuchungen als Kontrollinstanz?
"Das Gericht hat damit bestätigt, dass das Recht auch im globalen Krieg gegen den Terror gelten muss" erklärte Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), das die Kläger beraten hatte, kurz nach Urteilsverkündung im Gespräch mit LTO. Im Namen des Anti-Terror-Kampfes sei das Recht in den vergangenen Jahren zunehmend zurückgedrängt worden, so Schüller: "Das kann man so nicht stehen lassen."
Dementsprechend wertet er das Urteil als Erfolg, insbesondere da das OVG, wie der Senat bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt hatte, mit seiner Entscheidung nun Neuland betrat. Es existiert derzeit noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Thema, wie Schüller bestätigte, der auch zugab: "Das Urteil konnte man so nicht vorhersehen." Zwar habe man mit seinem eigentlichen Klagebegehren nicht durchdringen können, doch die Feststellungen des OVG allein seien bereits "enorm viel wert". Ob die Kläger noch Revision einlegen, werde man nach Eingang der Urteilsgründe prüfen.
Wie viel das Urteil aber für die Kläger selbst wirklich wert ist, wird sich erst noch zeigen müssen. Denn die Feststellungen des OVG sind eine Sache. Umsetzen muss die Vorgaben aber, so das noch nicht rechtskräftige Urteil Bestand haben wird, die Bundesregierung. Und ob diese, ganz unabhängig vom gegenwärtig angespannten Verhältnis zum großen Bündnispartner jenseits des Atlantiks, willens und in der Lage sein wird, jeden Drohnenangriff der USA zu prüfen, scheint mehr als fraglich.
Für Andreas Schüller steht jedenfalls fest, was sie nun zu tun hat: "Der Senat hat klargestellt, dass die Bundesregierung selbst aktiv Berichte über Drohnenangriffe auswerten und ggf. auch bei den USA nachfragen und auf unabhängige Untersuchungen drängen muss." Zudem müsse sie sich mit der Rechtsauffassung der USA auseinandersetzen und eine eigene völkerrechtliche Position entwickeln und diese auch kommunizieren. "Unsere Erwartung ist, dass Deutschland sich stärker als bisher positioniert", so Schüller.
Klage von Somalier ohne Erfolg
Ebenfalls am Dienstag ist die Klage eines Somaliers gegen die Bundesrepublik nach einem US-Drohnenangriff in seiner Heimat 2012 vom OVG abgewiesen worden. Er hatte ebenfalls argumentiert, der Angriff sei nur unter Beteiligung der US-Militärbasis in Ramstein und der Nutzung einer dortigen Satelliten-Relais-Station möglich gewesen.
Das Gericht konnte aber keine Pflichtverletzung der Bundesregierung erkennen. Der Senat habe auch nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Vater des Klägers tatsächlich 2012 durch eine US-Drohne getötet worden sei, teilte das Gericht mit. Der Senat zeigte sich nicht überzeugt, dass damals die Satelliten-Relais-Station überhaupt schon fertiggestellt war. Nach Medienberichten sei das erst Ende 2013 der Fall gewesen, sagte der Vorsitzende Richter. Es sei davon auszugehen, dass deutsche Behörden "von Einsätzen bewaffneter Drohnen in Somalia unter Einbindung von US-Einrichtungen in Deutschland" 2012 keine Kenntnis gehabt hätten.
Revision ließ das OVG nicht zu, dagegen ist aber eine Beschwerde möglich, so dass das Urteil aus Münster zunächst nicht rechtskräftig ist.
Mit Materialien von dpa
Teilerfolg für Jemeniten vor OVG Münster: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34451 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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