Wendepunkt für die Sportgerichtsbarkeit?: OLG München erkennt CAS-Urteil im Fall Pechstein nicht an

15.01.2015

Es ist ihr sechster Prozess, und erstmals hat Claudia Pechstein im Kampf gegen den Weltverband ISU einen Sieg errungen. Das OLG hat die Schiedsgerichtsvereinbarung der Eisschnelläuferin mit der ISU für unwirksam erklärt und die Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofes CAS zu ihrer Sperre nicht anerkannt. Wenn das Urteil Bestand hat, könnte es die Sportgerichtsbarkeit grundlegend verändern.

Für Claudia Pechstein ist es ein Tag zum Feiern. Das Oberlandesgericht (OLG) München nahm am Donnerstag die Schadensersatzklage der fünfmaligen Eisschnelllauf-Olympiasiegerin gegen den Eislauf-Weltverband ISU an. Die 2009 getroffene Schiedsvereinbarung zwischen Pechstein und der ISU erklärte das Gericht für unwirksam, die Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofes CAS zu ihrer Sperre erkennen die Münchner Richter nicht an (Urt. v. 15.01.2014, Az. U 1110/14 Kart).

"Es ist ein großer Tag für mich. Dieser Sieg ist mehr wert als alle meine Olympia-Medaillen zusammen", sagte die 42 Jährige. "Wir haben einen Sieg errungen, der Sportrechtsgeschichte schreibt. Der CAS muss jetzt grundlegend reformiert werden", erklärte ihr Münchner Anwalt Thomas Summerer. Der Internationale Sportgerichtshof mit Sitz in Lausanne war am 25. November 2009 dem Urteil des Weltverbandes ISU gefolgt und hatte die Zwei-Jahres-Sperre Pechsteins wegen schwankender Retikulozyten-Blutwerte ohne Doping-Beweis bestätigt.

Das Landgericht (LG) München I war noch davon ausgegangen, dass der Spruch des CAS anerkannt werden müsse, obwohl die zugrundeliegende Schiedsvereinbarung zwischen Pechstein und den Verbänden nichtig sei, weil die Sportlerin keine andere Wahl gehabt habe, als diese zu unterzeichnen.

OLG: "Neutralität des CAS grundlegend fraglich"

Auch die OLG-Richter fanden, dass die ISU die in Rede stehende Schiedsgerichtsvereinbarung vom 2. Januar 2009 nicht hätte verlangen dürfen. Diese sei unwirksam, weil sie gegen "zwingendes Kartellrecht" verstoße. Marktbeherrschenden Unternehmen sei es nach den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verboten, Geschäftsbedingungen zu fordern, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden.

Die Richter gehen von einem Missbrauch der Marktmacht aus. Nach den Verfahrensregeln hätten die beteiligten Verbände bestimmenden Einfluss auf die Auswahl der Personen, die als Schiedsrichter in Betracht kämen. Die Verbände erhielten so bei Streitigkeiten mit Athleten ein "strukturelles Übergewicht, das die Neutralität des CAS grundlegend in Frage stellt", so das Gericht.

Das OLG sieht die deutschen Gerichte in der Frage des Schadenersatzes daher nicht mehr an das CAS-Urteil gebunden. Pechsteins Klage sei also nicht schon wegen der Rechtskraftwirkung der Entscheidungs des CAS unbegründet. Über die Frage des Dopings muss aber noch entschieden werden.

ISU will nach Karlsruhe ziehen

Pechstein hat die Doping-Vorwürfe stets bestritten und nennt eine ererbte Blutanomalie als Grund für ihre schwankenden Werte. In dem Münchner Schadensersatzprozess hat die Berlinerin die ISU daher auf 4,4 Millionen Euro für erlittenes Unrecht erklagt. "Die ISU-Betrüger haben mir alles genommen. Aber es ist jetzt nicht zu Ende. Mich freut es, dass die ISU jetzt handeln und Beweise auf den Tisch legen muss", meinte Pechstein. Nach dem Urteil schilderte sie nochmals, in welch schwierige persönliche Situation sie der Weltverband mit seiner Sperre gebracht hatte. Sogar mit Selbstmord-Gedanken habe sie sich geplagt.

Die ISU geht nach der Niederlage in Revision vor den Bundesgerichtshof (BGH). Das bestätigte ISU-Anwalt Christian Keidel. "Wir halten das Urteil nach wie vor für falsch", bekräftigte Keidel. Er  erklärte, es habe den Anschein, dass er vor dem Gericht mehr den Sportgerichtshof CAS als den Eislauf-Weltverband verteidigen musste.

"Das ist eine epochale Entscheidung: Noch nie hat sich ein ordentliches Gericht auf diese Weise mit einem Dopingfall beschäftigt. Das Urteil eröffnet jetzt alle Möglichkeiten, auch die Frage, ob Claudia gedopt hat oder nicht, völlig neu aufzurollen", erläuterte Pechsteins Berliner Anwalt Simon Bergmann, der sie seit der ersten juristischen Instanz betreut.

Das Pechstein-Urteil kann somit von großer Tragweite für die deutsche und internationale Sportgerichtsbarkeit sein. Sollte der BGH dem Urteil des OLG folgen, würden künftig Sportler ein Wahlrecht zwischen Sportgerichtsbarkeit und ordentlichen Gerichten erhalten.

Der Beginn einer Reform?

Möglich erscheint auch, dass hierdurch eine Reform der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit angestoßen wird. Prof. Dr. Jens Adolphsen, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, nationales und internationales Zivilverfahrensrecht und Sportrecht an der Universität Giessen, hält dies für möglich und auch nötig: "Die Zusammenstellung der Schiedsrichter beim CAS macht in dieser Form keinen Sinn. Die Auswahl des Präsidenten ist völlig intransparent." Dies hält Adolphsen für den Kern des Problems: "Die Schiedsvereinbarung scheitert eben nicht an der Monopolstellung der Verbände, sondern an den derzeitigen Bestimmungen des CAS", so der Sportrechtler.

Daher sei eine Reform zu begrüßen. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass eine solche durch die aktuelle Entscheidung des OLG ausgelöst wird. "In der Schweiz beobachtet man sehr interessiert, wie deutsche Gerichte mit Entscheidungen des CAS umgehen. So wird auch das heutige Urteil ernst genommen werden. Der CAS ist schließlich nicht beratungsresistent", sagt Adolphsen. Es gelte aber, eine Entscheidung des BGH abzuwarten.

Grundsätzlich will Adolphsen an der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit aber festzuhalten. Niemand - auch die Anwälte von Claudia Pechstein nicht - würde deren Erforderlichkeit in Frage stellen. "Auch das OLG hat die Notwendigkeit der Einheitlichkeit der Entscheidung durch ein Schiedsgericht ausdrücklich hervorgehoben."

Über die finanziellen Forderungen von Pechstein wird erst nach einem Urteil des BGH verhandelt werden. Die ISU müsste dann der Athletin Doping nachweisen. Vor den Sportgerichten hatte bisher sie ihre Unschuld beweisen müssen und war damit gescheitert.

una/LTO-Redaktion

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Wendepunkt für die Sportgerichtsbarkeit?: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14384 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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