Erst Stuttgart und Frankfurt, jetzt München: Der bundesweit dritte Terrorprozess gegen die "Reichsbürger"-Gruppe Reuß hat begonnen. Die Anklagevorwürfe klingen skurril bis erschreckend.
Ein Jurist, eine Ärztin, ein IT-Spezialist, aber auch eine selbst ernannte Astrologin: Acht mutmaßliche Mitglieder der "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß müssen sich seit Dienstag vor dem Oberlandesgericht (OLG) München verantworten (Az. 9 St 7/23). Das ist die Gruppe, die nach einer großangelegten Anti-Terror-Razzia in mehreren Bundesländern und im Ausland Ende 2022 bekanntgeworden war. Die aktuell 26 Beschuldigten sollen einen gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung geplant und dabei bewusst Tote in Kauf genommen haben, wobei Reuß als Staatsoberhaupt hätte fungieren sollen. LTO berichtete umfassend zu den Ermittlungen des Generalbundesanwalts (GBA).
Zentraler Gegenstand der GBA-Anklage sind Pläne der aus der Reichsbürger-Szene stammenden Gruppe zum gewaltsamen Umsturz in Deutschland. Im Wesentlichen wird ihnen insoweit die Gründung bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Strafgesetzbuch, StGB) vorgeworfen. Vier Männer müssen sich zudem wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verantworten, einer wegen Verstößen gegen das Waffengesetz. Es ist nach Stuttgart und Frankfurt der bundesweit dritte Terrorprozess gegen die "Reichsbürger"-Gruppe um Reuß. In Frankfurt stehen Reuß und die mutmaßlichen Rädelsführer vor Gericht. In Stuttgart hat der GBA mutmaßliche Mitglieder des "militärischen Arms" angeklagt.
Aber auch mehrere der in München Angeklagten sollen dem "Rat" der Vereinigung angehört haben – ähnlich einem Kabinett einer rechtmäßigen Regierung – oder dem Führungsstab des "militärischen Arms". Mehrere Beschuldigte sollen in die Planungen für den Angriff auf den Bundestag eingebunden gewesen sein oder sollten daran teilnehmen.
Irre Verschwörungstheoretiker oder gefährliche Putschisten - oder beides?
Minutiös hat der GBA aufgelistet, was sie den Angeklagten persönlich und im Zusammenspiel mit den Angeklagten in den anderen Verfahren vorwirft. Es entsteht ein zugleich skurriles wie erschreckendes Bild der Männer und Frauen: Waren es Spinner und Verschwörungstheoretiker – oder gefährliche Hochverräter, Terroristen, Putschisten?
Beispielsweise soll bei Thomas T. Ende Juli 2021 die Gründungsversammlung der Gruppe stattgefunden haben. Auch Ruth L. soll zu den Gründungsmitgliedern gehört und später immer wieder neue Mitglieder rekrutiert haben, etwa die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Laut Anklage übernahmen T. und L., die ihren Beruf zu Prozessbeginn als "Astrologin, aber eigentlich Rentnerin" angab, im "Rat" die Leitung des Ressorts "Transkommunikation". Dieses Ressort war demnach für die spirituelle Überprüfung neuer Ratsmitglieder und die persönliche Beratung von Prinz Reuß zuständig.
Ein Angeklagter soll innerhalb des "militärischen Arms" für die Waffenbeschaffung zuständig gewesen sein und Mitglieder für den geplanten Angriff auf den Bundestag ausgerüstet haben. Ein anderer übernahm im militärischen Führungsstab nach Erkenntnissen des GBA die Leitung des Organisationsbereichs "Menschenwesen": Dieser habe nach einem Umsturz unter anderem die Militärgerichtsbarkeit übernehmen und Straftaten aburteilen sollen, auch unter Anwendung der Todesstrafe. Der Jurist G. soll im "Rat" für das Ressort Äußeres auserkoren gewesen sein, die Ärztin R. für den Bereich Gesundheit. Auffällig: Corona war von Beginn an ein beherrschendes Thema. Beispielsweise soll R. immer wieder zum Thema Nebenwirkungen von Corona-Impfungen referiert haben, so die Anklage.
"Mein Mandant war strikt dagegen, mit bewaffneten Kräften in das Reichstagsgebäude einzudringen"
Im Rahmen des ersten Hauptverhandlungstages übte die Verteidigung Kritik am Vorgehen des GBA. Rechtsanwalt Wolfgang Heer, der bereits unter anderem als Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe im NSU-Verfahren tätig war, warf dem GBA vor, für seinen Mandanten entlastende Erkenntnisse bei der Erstellung der Anklageschrift außen vor gelassen zu haben. Unter anderem ging es ihm um die Mitschrift eines abgehörten Telefonats, in dem sich sein Mandant von Gewalt-Überlegungen klar distanziert habe.
Heer sagte über seinen Mandanten: "Er war strikt dagegen, mit bewaffneten Kräften in das Reichstagsgebäude einzudringen." In einem Telefonat im Oktober 2023 habe er seinem Sohn, der bei der Polizei beschäftigt sei, auch einen Tipp geben wollen und diesen gewarnt: Es gebe da Leute mit "Allmachtsfantasien", die wollten die Regierung stürzen, die planten da "so einiges" und seien dabei, sich Waffen zu beschaffen. Da seien "gefährliche Leute" mit dabei. Er habe sich da abgesondert und wolle sich raushalten, zitierte Heer aus dem Telefonat seines Mandanten.
Eine andere Verteidigerin stellte die Frage, ob sich die Behörden von Fantastereien Einzelner möglicherweise hätten in die Irre führen lassen. Nichts stehe fest, die Anklageschrift sei nur eine Hypothese.
Das OLG München hat für die Hauptverhandlung zunächst 55 Termine bestimmt, aktuell bis Ende Januar 2025.
dpa/jb/LTO-Redaktion
OLG München: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54796 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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