OLG Hamm zum staatlichen Neutralitätsgebot: Schöffin darf in Ver­hand­lung kein Kopf­tuch tragen

von Charlotte Hoppen

10.05.2024

Dass der Staat es Richterinnen verbieten darf, mit Kopftuch auf der Richterbank Platz zu nehmen, ist bekannt. Das OLG Hamm stellt nun klar: Das gilt auch für Schöffinnen. Es gewährt damit dem staatlichen Neutralitätsgebot Vorrang.

Als Richterin, Staatsanwältin oder Rechtsreferendarin mit Kopftuch eine Gerichtsverhandlung leiten oder den staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienst wahrnehmen? Das darf der Gesetzgeber verbieten. Dass solche Verbote verfassungsgemäß sind, entschied beispielsweise im Jahr 2020 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu Rechtsreferendarinnen bei ihrer praktischen Ausbildung im Gerichtssaal (Beschl. v. 14.01.2020, Az. 2 BvR 1333/17).

Das BVerfG führte vor vier Jahren hierzu aus: Zwar stelle die Pflicht, sich im Rechtsreferendariat in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, einen Eingriff in die Glaubensfreiheit und weitere Grundrechte der Referendarin dar. Dieser ist laut den Karlsruher Verfassungsrichtern aber gerechtfertigt. So kämen als rechtfertigende Verfassungsgüter "die Grundsätze der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sowie die negative Religionsfreiheit Dritter in Betracht." Im Rahmen der Interessenabwägung gelangt das Gericht zu dem Ergebnis: "Hier kommt keiner der kollidierenden Rechtspositionen ein derart überwiegendes Gewicht zu, das dazu zwänge, der Beschwerdeführerin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal zu verbieten oder zu erlauben."

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschied nun: Auch eine Schöffin darf auf der Richterbank keine religiösen Symbole offen zur Schau tragen (Beschl. v. 11.04.2024, Az. 5 Ws 64/24).

Hintergrund des Verfahrens war, dass eine Schöffin am Amtsgericht (AG) Dortmund angekündigt hatte, aus Bekenntnisgründen ein Kopftuch zu tragen und hierauf auch in der gerichtlichen Verhandlung nicht verzichten zu können. Der Vorsitzende des Jugendschöffenausschusses hatte deshalb beantragt, die bereits gewählte Schöffin ihres Amtes zu entheben (§ 51 Gerichtsverfassungsgesetz, GVG). Das Tragen des Kopftuches während der Sitzung verstoße gegen § 2 Abs. 1 Justizneutralitätsgesetz NRW (JNeutG NRW). Danach gilt: Beschäftigte sowie ehrenamtliche Richter dürfen in der gerichtlichen Verhandlung keine wahrnehmbaren Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die bei objektiver Betrachtung eine bestimmte religiöse, weltanschauliche oder politische Auffassung zum Ausdruck bringen.

Die Schöffin erklärte bei ihrer vorgerichtlichen Anhörung, dass sie mit dem Kopftuch keine religiöse oder weltanschauliche Auffassung zum Ausdruck bringen wolle, sondern das Tragen des Kopftuches als religiöse Pflicht verstehe. Schon ohne Kopftuch sei sie äußerlich als Muslimin wahrzunehmen. Durch eine kopftuchtragende Schöffin werde die Vielfalt der Gesellschaft abgebildet und die gesellschaftliche Akzeptanz von Gerichtsurteilen erhöht, meinte sie.

Frau darf von der Schöffenliste gestrichen werden

Dieser Argumentation der Schöffin schloss sich das OLG Hamm nicht an. Den Antrag des Vorsitzenden des Jugendschöffenausschusses auf Amtsenthebung der Schöffin lehnte das Gericht aber trotzdem ab. Der Grund: Ihre Weigerung, das Kopftuch während der Gerichtsverhandlung abzunehmen, stelle keine gröbliche Amtspflichtverletzung dar, die im Sinne von § 51 Abs. 1 GVG erforderlich ist.

Es sei zwar richtig, dass die Weigerung der Schöffin, während der Gerichtsverhandlung auf das Tragen des Kopftuches zu verzichten, gegen § 2 Abs. 1 JNeutG NRW verstößt, so das Gericht. Gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 2 Abs. 1 JNeutG NRW bestünden auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn das Verbot des Tragens religiöser Symbole während der Gerichtsverhandlung stelle sich im Hinblick auf den hohen Rang des staatlichen Neutralitätsgebots und die geringe Eingriffsintensität als verhältnismäßig dar.

Es fehle aber eine "gröbliche Amtspflichtverletzung", die nach § 51 Abs. 1 GVG für eine Amtsenthebung zwingende Voraussetzung ist. Vielmehr sei die Weigerung, das Kopftuch während der Gerichtsverhandlung abzunehmen, eine (sonstige) Unfähigkeit zur Ausübung des Schöffenamtes und falle damit unter § 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG. Nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG ist ein Schöffe von der Schöffenliste zu streichen, wenn seine Unfähigkeit zum Amt eintritt oder bekannt wird.

Tragen eines Kopftuchs ist keine gröbliche Amtspflichtverletzung

Das Amtsenthebungsverfahren nach § 51 Abs. 1 GVG und die Streichung von der Schöffenliste nach § 52 Abs. 1 GVG stünden in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander, so das OLG. Unter welche Norm religiöse Symbole fallen, sei in der Rechtsprechung bislang nicht einheitlich beantwortet worden.

Das OLG Hamm vertritt nunmehr aber die Auffassung, eine kopftuchtragende Schöffin sei ein Fall für die Streichung von der Schöffenliste (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG). Denn eine "gröbliche Verletzung der Amtspflichten" im Sinne von § 51 GVG wäre nur gegeben bei einem Verhalten der Schöffin, nach dem sie aus objektiver Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten nicht mehr die Gewähr dafür biete, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Vorliegend ginge es indes nicht um ein Fehlverhalten der Schöffin – diese praktiziere vielmehr lediglich ihre durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Religionsausübungsfreiheit –, sondern um eine Kollision der grundrechtlich geschützten Religionsausübung mit den staatlichen Neutralitätsvorgaben.

Obwohl das OLG also im Kopftuchtragen einen Verstoß gegen § 2 Abs. 1 JNeutG NRW sieht, musste es den Antrag ablehnen: Für eine Amtsenthebung liegen s einer Auffassung nach die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vor. Für die Streichung aus der Schöffenliste dagegen schon, hierfür sei aber nicht das OLG, sondern der Vorsitzende des Jugendschöffenausschusses zuständig.

Nach der Bestätigung durch das OLG Hamm wird der Ausschuss die Schöffin wohl von der Schöffenliste streichen. Dessen Entscheidung ist nach § 52 Abs. 4 GVG unanfechtbar.

Zitiervorschlag

OLG Hamm zum staatlichen Neutralitätsgebot: . In: Legal Tribune Online, 10.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54521 (abgerufen am: 23.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen