2/2: OLG Frankfurt: Rechtsform allein ist kein Argument
Maßstab für das Verhalten von Ratingagenturen sei § 28b Bundesdatenschutzgesetz, so der Senat weiter. Nach dieser Vorschrift dürfe ein "Wahrscheinlichkeitswert für ein bestimmtes zukünftiges Verhalten erhoben oder verwendet werden, wenn die zur Berechnung des Wahrscheinlichkeitswertes genutzten Daten unter Zugrundelegung eines wissenschaftlich anerkannten mathematisch-statistischen Verfahrens nachweisbar für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit des bestimmten Verhaltens erheblich sind".
Zwar seien die sogenannten "Scoreformeln" selbst sowie die Basisdaten nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) als geschütztes Geschäftsgeheimnis der Ratingagentur anzusehen. Vorliegend erwecke diese bei ihren Kunden aus der Wirtschaft aber den Eindruck, verschiedenste Variablen über das bewertete Unternehmen umfassend zu verwerten.
Genauer betrachtet stütze sie, so die Frankfurter Richter, die schlechte Bewertung des klagenden Unternehmens jedoch einzig und allein darauf, dass es sich bei diesem nicht um eine Kapitalgesellschaft, sondern einen eingetragenen Einzelkaufmann handele. Das reiche nicht aus, da die Verwertung dieses Einzelfaktors dem Maßstab einer komplexen, auf statistischen und wissenschaftlichen Algorithmen beruhenden Bewertung nicht genüge.
Für Thomas M. J. Möllers ist das schlüssig. "Wenn die Ratingagentur ihre Bewertung tatsächlich maßgeblich darauf gestützt hat, dass das bewertete Unternehmen ein Einzelkaufmann ist und keine Kapitalgesellschaft, ist das selbstverständlich nicht nur nicht ausreichend, sondern sogar umkehrbar - schließlich haftet ein Einzelkaufmann mit seinem persönlichen Vermögen, er könnte insofern sogar als solider oder gar seriöser angesehen werden".
Noch kein Katalog von zulässigen Bewertungskriterien
Ob die Entscheidung aus Frankfurt neue Erkenntnisse für die Minimal-Vorausssetzungen bringt, welche die Bewertungen von Ratingagenturen erfüllen müssen, bezweifelt der Experte, der die Rechtsentwicklungen zu Ratingagenturen seit Jahren begleitet. "Das Verfahren vor dem OLG ist insofern ungewöhnlich, als die Agentur ihre Bewertung maßgeblich auf das - in dieser Form denkbar ungeeignete - Kriterium der Rechtsform gestützt hat".
Normalerweise seien die Bewertungsverfahren dagegen so komplex, dass sie kaum jemand durchschaut. Und selbst, wenn die Agentur die Kriterien offenlegen muss, weil ein Gericht diese nicht als ihr Geschäftsgeheimnis betrachtet, berufen sich die Dienstleister in der Regel darauf, dass sie Aussagen über künftige Ausfallwahrscheinlichkeiten treffen und Prognosen immer ein Unsicherheitsfaktor innewohnt.
Auch wenn es mittlerweile nach der Finanzkrise EU-weite Regelungen zur Haftung von Ratingagenturen gibt, knüpft auch diese sogenannte Rating-Verordnung für die Haftung überwiegend an formale Kriterien an. Es geht also dort weniger um sachlich fehlerhafte Ratings, erläutert Rechtswissenschaftler Möllers. Dabei gibt es solche fehlerhaften Ratings seiner Ansicht nach sehr wohl. Ein ausgearbeiteter Katalog von zulässigen oder unzulässigen Bewertungskriterien aber existiert jedenfalls derzeit noch nicht.
Möllers hält es für die Aufgabe der Wissenschaft und der Justiz, herauszuarbeiten, wie vertretbar und nachvollziehbar die Begründung einer Agentur ist. Das aktuelle Urteil aus Frankfurt wird dabei seiner Meinung nach eher wenig helfen: "Das Urteil des OLG Frankfurt ist vor allem deshalb bedeutsam, weil es so eindeutig ist bezüglich der fehlenden Begründung. Spannend wird es aber, wenn zum Beispiel drei oder vier Bewertungskriterien einer Agentur überzeugend sind, der Rest hingegen nicht. Dann gilt es, herauszuarbeiten, inwieweit die Gerichte dem Rating-Unternehmen ein Ermessen zugestehen und was sie noch für vertretbar halten werden".
pl/acr/LTO-Redaktion
Pia Lorenz, OLG Frankfurt verurteilt Ratingagentur: . In: Legal Tribune Online, 14.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15221 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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