Nachdem er über zwei quer auf dem Bürgersteig stehende E-Roller gestürzt war, verlangte ein blinder Mann nun 20.000 Euro Schmerzensgeld vor dem OLG Bremen. Erfolglos: Die Scooter-Vermieterin habe ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt.
Der Ruf von E-Rollern könnte schlechter kaum sein: Der Wikipedia-Artikel über sie besteht zu mehr als der Hälfte aus den Rubriken "Kritik" und "Gefahren". Paris hat das Aufstellen der Scooter gleich ganz verboten. Und laut einer Umfrage heißen satte 78 Prozent der Deutschen ein Verbot der E-Scooter gut.
Kritiker:innen dürften sich angesichts des Falls, den das Oberlandesgericht (OLG) Bremen nun zu entscheiden hatte, durchaus bestätigt fühlen. Der klagende Mann, der blind ist, war im Jahr 2020 in der Hansestadt über zwei E-Scooter gestürzt, die "im 90 Grad Winkel zur Hauswand" und damit quer auf dem Bürgersteig gestanden hatten.
Der klagende Mann stürzte über die Geräte und erlitt einen Oberschenkelhalsbuch, der operiert werden musste. Vor den Gerichten verlangte der Geschädigte ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro. Wie zuvor das Landgericht (LG) Bremen wies das OLG als Berufungsgericht die Klage aber nun ab (Urt. v. 15.11.2023, Az. 1 U 15/23).
E-Scooter durften in Bremen flexibel aufgestellt werden
Die gewerbliche Vermieterin der E-Scooter, die der gestürzte Mann beklagt hatte, hatte zum Zeitpunkt des Unfalls für Bremen eine Sondernutzungserlaubnis: Sie durfte 500 Roller ins öffentliche Stadtgebiet "einbringen" und im sog. Free-floating-Modell anbieten; die Scooter hatten also keinen festen Standort, sondern wurden flexibel im öffentlichen Raum abgestellt. Die Klage richtete sich außer gegen die Vermieterin noch gegen zwei ihrer Angestellten.
Vor dem Sturz war der blinde Kläger nach eigenen Angaben in gemäßigtem Gehtempo an der "inneren Leitlinie" entlang einer Hauswand gegangen. Diese sogenannte Leitlinie dient der Orientierung von Menschen mit Sehbehinderung. Mit seinem Langstock habe er den ersten E-Scooter noch erkannt. Beim Versuch, den Roller zu übersteigen, sei er dann auf den zweiten, parallel dahinterstehenden Scooter getreten, und über das Trittbrett des zweiten Rollers gestürzt.
Das OLG verneinte nun jegliche Ansprüche auf Schmerzensgeld. Die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung von Fahrzeughaltern nach § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG) scheide gemäß der Ausnahme in § 8 Nr. 1 StVG aus, weil E-Roller Elektrokleinstfahrzeuge seien, die nicht mehr als 20 Kilometer pro Stunde fahren. Laut OLG hat der klagende Mann auch keinen deliktsrechtlichen Anspruch aus § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Die Vermieterin der E-Scooter habe zwar eine Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der von ihr betriebenen E-Scooter und müsse daher Schädigungen anderer möglichst verhindern, so das OLG. Für besonders eigenartige und fernliegende Umstände hafte sie aber nicht.
Kein Verstoß gegen Verkehrssicherungspflicht
Insofern konnte das OLG keine Verletzung dieser Verkehrssicherungspflicht ausmachen. Wie die Scooter gestanden haben, habe weder gegen die konkreten Vorgaben der Sondernutzungserlaubnis noch gegen allgemeine zivilrechtliche Rücksichtnahmepflichten des Scooter-Vermieterin gegenüber besonders schutzbedürftigen Menschen verstoßen.
In der Sondernutzungserlaubnis steht, dass neben abgestellten Rollern eine Restgehwegbreite von 1,50 Meter frei bleiben muss. Im konkreten Fall habe die Restgehwegbreite sogar 4,35 Meter betragen, so das OLG. Außerdem habe es am Unfallort kein besonderes Gefahrenpotenzial gegeben. Daher durften die Roller nach Auffassung des OLG insbesondere auch quer aufgestellt werden, gleichzeitig habe die beklagte Vermieterin keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen für sehbehinderte Menschen treffen müssen. Das begründete das OLG unter anderem damit, dass "die grundsätzliche Zulassung von gewerblich genutzten E-Rollern im Straßenverkehr politisch und gesellschaftlich gewollt" sei.
Auch die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) führt laut OLG zu keiner anderen Beurteilung. Sie habe zwar den Rang einfachen Bundesrechts und müsse insbesondere bei der Auslegung der Sondernutzungserlaubnis herangezogen werden. Allerdings genüge die Sondernutzungserlaubnis der Konvention.
Die Revision zum Bundesgerichtshof ließ das OLG nicht zu. E-Roller seien zwar relativ neu, allerdings rechtlich mit Fahrrädern und Mopeds vergleichbar, zu deren Haftungsfragen es ausreichend Rechtsprechung gebe.
lst/LTO-Redaktion
OLG Bremen zu quer abgestellten E-Scootern: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53177 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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