LSG Niedersachsen-Bremen zur Kostenerstattung: Haar­ver­lust kann eine Behin­de­rung sein

20.05.2019

Die Krankenkasse muss einer Frau mit Haarausfall die Kosten für ein Echthaarteil bezahlen. Laut dem LSG Niedersachsen-Bremen reicht eine Perücke aus Kunsthaar, die sehr viel günstiger wäre, in diesem Fall nicht aus.

Reicht eine Perücke aus oder hat die Krankenkasse einer Frau mit Haarausfall auch ein maßgeschneidertes Echthaarteil zu bezahlen? Diese Frage hatte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) zu beantworten. Die Kosten für eins von beidem bekommen Versicherte in jedem Fall erstattet, weil ein partieller Haarverlust bei einer Frau eine Behinderung sei; die Höhe der Erstattung hänge sodann von der medizinischen Notwendigkeit ab, wie das Gericht in einer am Montag veröffentlichten Entscheidung befand (Urt. v. 26.03.2019, Az. L 4 KR 50/16).

Geklagt hatte eine 55-jähige Frau aus der Grafschaft Bentheim. Sie litt an einer Schuppenflechte, die zunehmend zu kreisrundem Haarausfall führte. Um die kahlen Stellen zu bedecken, beantragte sie bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für ein handgeknüpftes Echthaarteil. Dieses kostete 1.290 Euro.

Ihre Krankenkasse wollte aber nur den vorgesehenen Höchstbetrag von 511 Euro übernehmen, weil sie der Auffassung war, dass auch für diesen Betrag eine gute Versorgung des Haarausfalls zu bekommen sei. Schließlich bewege sich die Frau überwiegend im privaten Umfeld und nicht in der Öffentlichkeit, weswegen sie durchaus auch eine Kunsthaarperücke tragen könne, argumentierte die Kasse. Alles darüber hinaus sei "unwirtschaftlich". Bereits das Sozialgericht (SG) in Osnabrück kam aber zu einem anderen Ergebnis.

LSG: Frau in ihrer körperlichen Funktion beeinträchtigt

Auch nach der Entscheidung des LSG muss die Krankenkasse der Frau die gesamten Kosten für das Echthaarteil erstatten. Den Anspruch leitete der Senat aus § 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) ab. Danach bekommen Versicherte Hilfsmittel, um eine Behinderung auszugleichen. Genau eine solche nahmen die Landessozialrichter im Fall der Frau aus Niedersachsen auch an: Ein partieller Haarverlust stelle bei einer Frau eine Behinderung im Sinne der Vorschrift dar, heißt es in dem Urteil. Wegen ihres krankheitsbedingten Haarverlusts sei sie in ihrer körperlichen Funktion beeinträchtigt. Die Hilfsmittel seien schließlich dafür dar, die Selbstbestimmung zu fördern und gleichberechtigt am gemeinschaftlichen Leben Teilnehmen zu können.

Grundsätzlich schulde die Krankenkasse zum Behinderungsausgleich zwar nur eine Versorgung, die den Haarverlust nicht sogleich erkennbar werden lasse, merkt das LSG gabei an. Das ursprüngliche Aussehen muss also nicht umfassend rekonstruiert werden. Im Einzelfall könne jedoch auch ein maßgefertigtes Echthaarteil aus medizinischen Gründen erforderlich sein. Dann könne die Versicherte nicht gezwungen werden, eine Perücke aus Kunsthaar zu tragen.

Bei seiner Bewertung hat sich der Senat auf die Ausführungen des behandelnden Dermatologen gestützt. Der riet wegen der Schuppenflechte davon ab, das verbliebene Haupthaar vollständig mit einer Perücke zu verdecken. Eine Kunsthaarperücke zum Festbetrag stelle daher keine zweckmäßige Versorgung dar, so das LSG.

mgö/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

LSG Niedersachsen-Bremen zur Kostenerstattung: . In: Legal Tribune Online, 20.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35471 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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