Als erstes deutsches Gericht hat das Landgericht Stuttgart an diesem Dienstag über eine Klimaklage gegen einen Kfz-Hersteller entschieden - und sie abgelehnt. Mit guten Gründen, meint Christian Rath.
Die meisten Klimaklagen richteten sich bisher gegen Staaten. Doch die Klagen gegen Unternehmen werden zahlreicher. Und das ist auch nachvollziehbar. Immerhin haben viele multinationale Konzerne ökologische Fußstapfen, die größer sind als die mancher Staaten. So ist Mercedes-Benz weltweit für 65,5 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich - mehr als Staaten wie Finnland, Norwegen oder Portugal, rechnet die Deutsche Umwelthilfe (DUH) vor.
Und natürlich kann man die Unternehmensklagen auf ganz alltägliches Zivilrecht stützen. Da ist auf der einen Seite ein Unternehmen als Schadensverursacher oder Gefährder und auf der anderen Seite ein Betroffener, dessen Rechtsgüter verletzt werden. Nach den Regeln der Störerhaftung kann man daraus einen Abwehranspruch konstruieren, insbesondere wenn dem Störer die Verletzung klimafreundlicher Verkehrssicherungspflichten vorgehalten werden kann. Die entsprechenden Pflichten haben internationale Klimaschutz-NGOs und -Institutionen längst proklamiert.
Und doch kann das Konzept der Klimaklagen gegen Unternehmen nicht überzeugen. Das Landgericht (LG) Stuttgart hat heute zwei zentrale Gesichtspunkte benannt. Zum einen hat es die Konstruktion der konkreten Klage gegen Mercedes-Benz kritisiert, zum anderen hat es auf den Grundsatz der Gewaltenteilung hingewiesen.
Die Grundrechte der DUH-Geschäftsführer:innen
Geklagt hatten drei Geschäftsführer:innen der DUH. Sie verlangen von Mercedes eine klimafreundliche Umstellung seiner Geschäftspolitik, weil sonst der Staat die Grundrechte der Kläger massiv einschränken werde. Wenn das gesamte deutsche CO2-Emmissions-Budget aufgebraucht ist (auch wegen der Autos von Mercedes), müsse die Politik den Konsum, Verkehr und Wohnkomfort der gesamten Bevölkerung, also auch der Kläger, massiv beschränken.
Die Kläger griffen damit offensichtlich die Konstruktion des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus seinem berühmten Klima-Beschluss vom Frühjahr 2021 auf. Damals hat Karlsruhe den Gesetzgeber zu verstärkten Klimaschutz-Planungen aufgefordert, um die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren.
Das LG Stuttgart konnte damit im konkreten Zivilrechtsstreit aber nichts anfangen. Wenn das Gericht die Interessen der Kläger mit den Interessen von Mercedes-Benz abwägen soll, so der Vorsitzende Richter Bernd Rzymann, dann müsse man schon einigermaßen konkret wissen, welche Beeinträchtigungen den Klägern in Zukunft eigentlich drohen. Bisher sei aber überhaupt nicht klar, ob die Politik bei einem Überschreiten des deutschen Klima-Budgets wirklich massive Einschränkungen anordnen würde und wie die Kläger davon persönlich betroffen wären.
Soll doch der Bauer klagen
Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht war die Konstruktion des BVerfG innovativ und mutig. Immerhin wurde hier das sonst eherne Prinzip umgangen, dass nur derjenige Verfassungsbeschwerde erheben kann, der geltend macht, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten verletzt zu sein.
Aber natürlich könnte man hoffen, dass die Zivilgerichte nun ebenso mutig und innovativ sind und ihre Abwägungen künftig nicht mehr an konkreten Interessen der Kläger, sondern an abstrakten Interessen der Menschheit ausrichten. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht.
Außerdem gibt es ja auch andere Wege. Statt DUH-Geschäftsführer können ja auch Menschen klagen, die etwas handfestere Eingriffe in ihre Rechtsgüter vorweisen oder zumindest befürchten können. Greenpeace macht dies bei der Klage gegen VW vor. Kläger ist hier ein Biobauer, der ein Ausdörren seiner Böden durch den Anstieg der Welttemperatur befürchtet - und an diesem Temperaturanstieg seien die CO2-Emissionen von VW-Fahrzeugen in relevanter Weise beteiligt. So hat man Klimaklagen vor 2021 konstruiert. Das ist auch künftig ein gangbarer Weg.
Politik statt Justiz
Relevanter ist aber wohl der zweite Einwand des Stuttgarter LG, der Hinweis auf die Gewaltenteilung. Sie sehe vor, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen trifft und nicht die Gerichte aufgrund der Klagen von Einzelpersonen. Nur der Gesetzgeber sei legitimiert, "das Gesamtwohl" zu definieren und daraus abzuleiten, wer noch welche CO2-Emissionen ausstoßen darf.
Das leuchtet angesichts der aktuellen Klagen unmittelbar ein. Derzeit klagt die DUH gegen Mercedes und BMW, Greenpeace klagt gegen VW. Was aber ist mit Ford, Opel und Hyundai? Was ist mit den LKW- und Flugzeugherstellern? Sollen Gerichte nur dort aktiv werden, wo eine NGO gerade Kapazitäten für Klagen und Hoffnung auf gute Öffentlichkeitswirkung hat?
Außerdem ist der Verkehr ja nur einer der klimarelevanten Sektoren. Das Klimaschutzgesetz listet noch Industrie, Landwirtschaft, Energie und Gebäude auf. Jeder Sektor hat seine eigene Logik, seine eigenen Interessenskonflikte. Die Abwägung all dieser Aspekte ist genuine Aufgabe der Politik. Gerichte wären hiermit nicht nur überfordert, sie sind hierzu auch nicht legitimiert.
Noch deutlicher wird das, wenn man über den Rand der Klimapolitik hinwegblickt. Selbst wenn man sich objektiv darauf einigen könnte, wie eine optimal austarierte Klimapolitik aussieht, dann kommt doch ganz sicher etwas dazwischen - eine globale Pandemie, ein verbrecherischer Angriffskrieg - mit neuen drängenden Problemen und neuen Sachzwängen. Müsste dann nicht das gerichtliche Verfahren neu aufgenommen werden? Oder zeigt nicht auch dies, dass politische Fragen in politische Gremien gehören?
Wenn die Politik nichts tut
Zwar muss es auch Sicherungen geben, wenn die Politik nichts tut oder aus Angst vor den Wähler:innen zu vorsichtig bleibt. Immerhin geht es bei der Klimapolitik zumindest langfristig auch um Grundrechte.
Die Überlegung ist also nicht falsch, dass dies dann doch die Stunde der Justiz ist, die eben nicht auf Wahlen schielen muss und auch unbequeme Notwendigkeiten durchsetzen kann (solange sie Akzeptanz findet).
Die richtige Ebene ist dann aber wohl kaum die Ziviljustiz, mit Verfahren gegen VW und Mercedes. Wenn der Staat seine Pflichten vernachlässigt, sind Verwaltungsgerichte und letztlich das BVerfG zuständig.
Tatsächlich hat die DUH ja auch schon manche Klage gegen die mangelhafte Umsetzung des deutschen Klimaschutzgesetzes erhoben. Zuständig ist hierfür das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Es hat aber noch nicht eine dieser Klagen verhandelt. Und derzeit ist der zuständige 11. Senat durch einen Konkurrentenstreit um den Vorsitzposten blockiert. Die Klimaklagen werden also auch in den nächsten Monaten liegen bleiben. Das ist die Antwort des real existierenden Rechtsstaats auf die drängenden Fragen der Klimapolitik.
Wenn in Berlin weiter nichts passiert, wird vielleicht doch wieder das BVerfG aktiv werden müssen - auch wenn es sich nach dem fulminanten klima-rechtlichen Einstieg im Frühjahr 2021 zuletzt sehr zurückgehalten hat.
* Fassung vom 13.09.22
LG Stuttgart lehnt Klimaklage ab: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49611 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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