Der Strafprozess gegen einen ranghohen Polizisten wegen sexueller Nötigung endete mit Freispruch. Nun ein zivilrechtlicher Erfolg für die Nebenklägerin: Das LG Stuttgart untersagte der Verteidigerin des Mannes bestimmte öffentliche Äußerungen.
Vor drei Wochen ging Deutschlands meistbeachteter "#MeToo"-Strafprozess vor dem Landgericht (LG) Stuttgart zu Ende. Nie hatte sich ein so ranghoher Polizeibeamter wegen sexueller Nötigung vor einem Strafgericht verantworten müssen. Der von diesem Vorwurf nunmehr freigesprochene Polizeiinspekteur Andreas R. war Baden-Württembergs oberster Polizist.
Der Freispruch erfolgte, weil es am Ende – wie so oft in solchen Verfahren – Aussage gegen Aussage stand: Es konnte nicht bewiesen werden, ob der Polizeichef die deutlich jüngere Anwärterin für den höheren Polizeidienst um 3 Uhr morgens in der Kneipe zum Anfassen seines Penis genötigt hatte oder ob die Initiative von ihr ausgegangen war.
Am Donnerstag erreichte die junge Polizistin aber dennoch einen Erfolg vor Gericht, wiederum dem LG Stuttgart, diesmal als Zivilkammer (Urt. v. 03.08.2023, Az. 11 O 82/23). Es handelte sich um eine äußerungsrechtliche Streitigkeit, die im Zusammenhang mit dem Strafprozess steht.
Verteidigerin gab Presseerklärung heraus – trotz nicht-öffentlicher Verhandlung
Konkret ging es dabei um die Frage, ob die Strafverteidigerin des Polizeiinspekteurs zu Beginn der Hauptverhandlung eine Presseerklärung verteilen durfte, in der sie bestimmte Äußerungen und Behauptungen über die in dem Prozess als Zeugin und Nebenklägerin beteiligte Polizeianwärterin tätigte.
Dies war nicht nur ein ungewöhnliches Vorgehen, sondern auch ein heikles – denn die Vernehmung der jungen Polizistin fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dadurch sollten zum Schutze des Persönlichkeitsrechts der Frau einige intime Details des Falls der Öffentlichkeit verborgen bleiben.
Die Presseerklärung habe dieses Ziel zum Teil konterkariert, befand die 11. Zivilkammer Stuttgart nun. Durch einige Inhalte der Pressemitteilung sei die Privatsphäre der Polizistin verletzt worden. Insofern hatte die Frau mit ihrer auf §§ 1004 Abs. 1 S. 2 (analog), 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gestützten Unterlassungsklage Erfolg. Der Strafverteidigerin untersagte das LG unter Androhung von Ordnungsgeld oder Haft, die beanstandeten Aussagen öffentlich zu tätigen.
Konkret ging es dabei um folgende Behauptungen: Die Polizeianwärterin habe 1) in dem Strafverfahren gegenüber der Polizei mehrfach die Unwahrheit gesagt; 2) zu einem anderen, deutlich älteren und verheirateten Vorgesetzten im Innenministerium seit Monaten ein intimes Verhältnis unterhalten; 3) diesem unmittelbar nach dem Abend mit Andreas R. erzählt, genau gewusst zu haben, was sie tue, und dass man nichts auf den Alkohol schieben könne. Schließlich soll 4) der berufliche und persönliche Lebensweg der Frau dadurch geprägt gewesen, dass sie bewusst ältere, höher gestellte Männer gesucht habe, um die Kontakte zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen.
LG: Beziehungen zu anderen Männern gehen Öffentlichkeit nichts an
Die erste Aussage, die Polizistin habe mehrfach gelogen, war laut LG Stuttgart eine unwahre Tatsachenbehauptung: Die Verteidigerin selbst habe lediglich einen Fall einer unwahren Äußerung zu dem Verlauf des Abends vorgetragen. Für die Aussagen zu 2) und zu 3) sei kein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit erkennbar, insbesondere beträfen die Beziehungen zu dritten Personen die Privatsphäre und gingen die Allgemeinheit nichts an. Die vierte Äußerung, die Frau suche aus Karrieregründen gezielt Kontakt zu älteren Beamten, sei unzulässig, weil hinreichende Belege fehlten.
Der Vorsitzende Richter Oliver Schlotz-Pissarek stellte bei der Urteilsverkündung klar, dass der Strafprozess wegen sexueller Nötigung in dem zivilrechtlichen Verfahren keine zentrale Rolle gespielt habe – sondern nur die Frage, ob die Äußerungen in der Erklärung presserechtlich zulässig gewesen seien oder nicht. Man habe die Aussagen zudem zum konkreten Zeitpunkt des Prozessbeginns gewürdigt. "Mag sein, dass heute manche Dinge anders zu sehen wären."
Die Polizistin erhielt aber nicht in allen Punkten Recht. So habe man ihren Vorwurf, sie sei durch die Erklärung identifizierbar gemacht worden, zurückgewiesen. Die Polizistin habe nicht substantiiert vorgetragen, dass sie aufgrund der Presserklärung für mehr Menschen identifizierbar gewesen wäre als bereits vor Prozessbeginn.
Aufarbeitung des Falls noch nicht abgeschlossen
Ihre Klage wurde auch insoweit abgewiesen, als sie die in der Presseerklärung getätigte Aussage betraf, die Polizistin habe Beweismittel vernichtet. Diese Äußerung hielt das LG "im Kern" für wahr, hieß es in einer Mitteilung des Gerichts gegenüber LTO. Die junge Frau habe nachweislich Daten von ihrem Mobiltelefon gelöscht. Auch an der in der Presseerklärung getätigten Aussage, in dem Strafverfahren sei nicht die Polizistin, sondern der Polizeiinspekteur das Opfer, vermochte das LG nichts auszusetzen; dies sei eine zulässige Meinungsäußerung.
Das zivilrechtliche Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Auch der Strafprozess geht womöglich in die nächste Runde: Die Staatsanwaltschaft will das Urteil anfechten. Unabhängig von dem Freispruch erwartet den vom Dienst freigestellten Andreas R. noch ein Disziplinarverfahren. Wegen unzulässiger Verwicklungen in dieses war auch gegen den baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl ermittelt worden.
mk/LTO-Redaktion
mit Material der dpa
Prozess wegen sexueller Nötigung in der Polizei: . In: Legal Tribune Online, 04.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52422 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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