Die Aufarbeitung des sog. Dieselskandals vor deutschen Gerichten ist noch lange nicht abgeschlossen. Wieder bejaht ein deutsches Gericht Sittenwidrigkeit – diesmal zulasten von Opel.
Wer systematisch durch mehrere Abschalteinrichtungen darauf hinarbeitet, dass ein Fahrzeug nur auf dem Prüfstand ordnungsgemäß und ansonsten nur mit reduzierter Abgasreinigung arbeitet, handelt sittenwidrig und macht sich schadensersatzpflichtig. Das hat das Landgericht (LG) Ravensburg (Urt. v. 30.12.2022 – Az. 2 O 200/22) entschieden und festgestellt, das Vorgehen von Opel vergleichbar mit dem Vorgehen der Volkswagen AG mit dessen Motor "EA189" sei. Anlässlich dieses Motors hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil (Urt. v. 25.05.2020 – Az. VI ZR 252/19) erstmals den Schadensersatzanspruch eines Käufers aus § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Rahmen des sog. "Dieselskandals" bejaht.
Der Kläger, ein Käufer eines Opel Insignia 2.0, hatte das Fahrzeug 2015 erworben. In das Auto war der Motor des Typs "B20" verbaut. Während sich Opel darauf berief, die Abschalteinrichtung habe den unionsrechtlichen Anforderungen entsprochen, klagte der Käufer auf Schadensersatz und stützte sich dabei auf § 826 BGB.
Verhalten von Opel besonders verwerflich
Die Kammer des LG sah es nun als erwiesen an, dass die Adam Opel GmbH besonders verwerflich und damit objektiv sittenwidrig gehandelt habe. Zwar genüge nach Rechtsprechung des BGH für die Sittenwidrigkeit nicht allein die Installation einer Abschalteinrichtung, erforderlich seien vielmehr "besondere Umstände", die das "Verhalten der Person als besonders verwerflich erscheinen lassen". Gerade derartige Umstände hätten aber im gegenständlichen Fall vorgelegen: Über das Thermofenster hinaus seien drei weitere Abschalteinrichtungen mit unterschiedlichen Parametern installiert worden.
Die 2. Zivilkammer weist darauf hin, grundsätzlich sei selbst bei mehreren Abschalteinrichtungen das Verdikt der Sittenwidrigkeit nicht zwingend. Allerdings seien die Umstände hier mit dem Motor des Typs "EA189" vergleichbar: Zwar hätte Opel keine Prüfstanderkennung im technischen Sinn eingebaut, jedoch seien die Parameter der Abschalteinrichtung so gewählt, dass sie nicht auf dem Prüfstand, aber sehr häufig im Straßenverkehr eingreifen. Das Inverkehrbringen des Fahrzeugs sei Opel gemäß § 31 BGB zurechenbar.
Anwältin: Urteil für Verbraucher große Bedeutung
Die Verbraucheranwälte der Kanzlei Wawra & Gaibler Rechtsanwälte, die den Opel-Käufer in dem Verfahren vertreten haben, die Bedeutung des Urteils des LG Ravensburg als hoch ein: "Das Urteil gilt nicht nur für das Modell Insignia, sondern auch für die Opelmodelle Cascada und Zafira, sodass diese Entscheidung für viele Kunden von Bedeutung ist", so Rechtsanwältin Sandra Mader gegenüber LTO.
Opel hat nach eigenen Angaben bereits Berufung gegen das Urteil eingelegt. "Insbesondere widerspricht das Urteil auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Fälle, in denen das Emissionskontrollsystem anhand verschiedener Parameter (Temperatur, Luftdruck, Drehzahl etc.) gesteuert wird, gerade nicht mit den Fällen des bekannten VW EA189-Motors vergleichbar sind. Dass eine Prüfzykluserkennung, wie aus den VW EA189-Fällen bekannt, bei Opel nicht zum Einsatz kommt, stellt auch das Landgericht Ravensburg im hiesigen Urteil klar", so Opel zu LTO. Derselbe Richter habe bereits im Feburar 2022 in einem ähnlichen Fall entsprechend entschieden. Auch dagegen laufe die Berufung. "Bei den beiden Urteilen handelt es sich um Einzelfälle. Diesen stehen nicht nur sämtliche rechtskräftige und zu hunderten klageabweisende Entscheidungen in allen Instanzen in vergleichbaren Fällen entgegen, sondern auch die Urteile der anderen Richter am Landgericht Ravensburg", so Opel weiter.
*Der Artikel entspricht der Version vom 06.01.2022, 16:54 Uhr.
lm/LTO-Redaktion
LG Ravensburg zum Dieselskandal: . In: Legal Tribune Online, 04.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50654 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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