Auch, wenn in den Lehrbüchern etwas anderes stand: Bereits 1995 hätten die Ärzte eine intersexuelle Person über ihre beiden Geschlechter aufklären müssen, bevor diese in eine OP einwilligte. Nun bekommt sie immerhin Schadensersatz.
Genetisch ist sie weder Mann noch Frau, doch das sagten ihr die Ärzte damals nicht – angeblich, um sie vor einem Schock zu bewahren. So kam es, dass sich die Intersexuelle in den 90-er Jahren mit Anfang 20 einer Behandlung mit weiblichen Hormonen und einer anschließenden geschlechtszuweisenden Operation unterzog.
Weil sie vorher nicht ausreichend aufgeklärt wurde und die Einwilligung daher als nicht wirksam anzusehen ist, hat sie nun einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz gegen ihre ehemaligen behandelnden Ärzte. Das hat das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth am Donnerstag in einem Teil-Urteil entschieden (Urt. v. 17.12.2015, Az. 4 O 7000/11).
Keine selbstbestimmte Entscheidung möglich
Konkret hatten die Mediziner des Universitätsklinikums Erlangen der Person aus Mittelfranken damals verschwiegen, dass sie zwar äußerlich weibliche Geschlechtsorgane hatte, ihr XY-Chromosomensatz jedoch der eines Mannes ist – somit ist sie intersexuell. Bei dieser Veranlagung sind nicht alle geschlechtsbestimmenden Merkmale wie Chromosomen, Hormone, Keimdrüsen oder äußere Geschlechtsorgane eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. Auch sie selbst bezeichnet sich inzwischen als Zwitter und möchte dementsprechend auch nicht als Klägerin oder Kläger im Urteil erscheinen – ein Wunsch, dem die Richter beim Verfassen der Urteilsbegründung folgten.
Nach der langwierigen Behandlung erfuhr die nun einer Frau angeglichene Person von ihrer ursprünglichen Disposition. Sie verklagte die Mediziner sowie einen Operateur und warf ihnen vor, sie vor der Therapie und der OP im Jahr 1995 nicht über die Tragweite und Folgen der Behandlung aufgeklärt zu haben. Damit habe man ihr die Möglichkeit genommen, als Mann therapiert zu werden oder den Zustand ohne eindeutige Geschlechtszuordnung zu belassen. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie in die Behandlung nicht eingewilligt.
Durch die geschlechtszuweisende Therapie habe sie schließlich so erhebliche gesundheitliche Nebenwirkungen erlitten, dass sie heute voll erwerbsunfähig sei. Sie hatte 250.000 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie eine monatliche Rente von 1.600 Euro gefordert.
Die Klinik hatte sich in dem Prozess damit verteidigt, dass bis Mitte der 1990er-Jahre in ärztlichen Lehrbüchern noch eine frühzeitige Zuweisung zu einem Geschlecht empfohlen worden sei und man zum Schutz der psychosexuellen Gesundheit und einer ungestörten Geschlechtsidentität von einer "radikalen" Aufklärung abgeraten habe. Die Patienten sollten keinen Schock bekommen. Heute gehört die Besprechung der Chromosomenanalyse laut einem Gutachter dazu.
LG Nürnberg zu intersexueller Person: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17910 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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