Oliver B. darf weiter nur Oliver B. heißen – in der Berichterstattung. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Ex-Wirecard-Manager als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss im Bundestag aussagte. Das hat das LG München I bestätigt.
Über den Kronzeugen im Wirecard-Skandal darf nicht mit vollem Namen und Bild berichtet werden, das entschied das Landgericht (LG) München I am Mittwochabend (Urt. v. 16.12.2020, Az. 9 O 15459/20). In dem Verfahren unterlag der Spiegel Verlag. Das Urteil des LG enthält einige grundsätzliche Aussagen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor Presseberichterstattung.
Oliver B., den die Staatsanwaltschaft als Kronzeugen einschätzt, leitete eine Wirecard-Tochter mit Sitz in Dubai, die eine zentrale Rolle im Wirecard-Skandal spielt. Die Staatsanwaltschaft München I geht davon aus, dass die Beschuldigten - zu denen auch der Kronzeuge zählt – verabredet haben, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der Wirecard AG durch das Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften aufzublähen.
Dabei sollen angeblich vorhandene Vermögenswerte in Höhe von zuletzt 1,9 Milliarden Euro in Wahrheit gar nicht existiert haben. Durch falsche Jahresabschlüsse getäuschte Investoren und Banken sollen deshalb Gelder in Höhe von rund 3,2 Milliarden Euro bereitgestellt haben, die angesichts der Insolvenz der Wirecard AG höchstwahrscheinlich verloren seien. 1,1 Milliarden Euro der nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I "erfundenen" Bilanzsumme in Höhe von 1,9 Milliarden Euro entfielen auf die vom Verfügungskläger geleitete Wirecard-Tochter.
Der Mann hat die Öffentlichkeit stets gemieden. Nach seiner Kenntnis existierte bislang von ihm kein Foto in der Öffentlichkeit. Anfang Juli stellte er sich freiwillig den Behörden und bot den Ermittlern seine Kooperation an. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft in einer bayerischen Justizvollzugsanstalt.
Nach dem Untersuchungsausschuss: Der Spiegel berichtete mit Namen und Bild
Am 19.11.2020 wurde er - per Video aus der Haftanstalt zugeschaltet - in der öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses "Wirecard" des Deutschen Bundestages als Zeuge vernommen. Er beantwortete keine Fragen, führte aber aus "Die Angelegenheit ist ein Riesendesaster, das sich durch nichts beschönigen lässt" und entschuldigte sich bei den Geschädigten.
Der Spiegel veröffentlichte am 21.11.2020 in seiner Printausgabe und am gleichen Tag auch online unter dem Titel "Der Wireclan" Artikel, die den vollen Namen des Kronzeugen nennen und sein Foto zeigen.
Daraufhin erließ das LG eine einstweilige Verfügung und untersagte dem Verlag die identifizierende Berichterstattung. Nach der Beschwerde des Verlags urteilte das Gericht nun und bestätigte die einstweilige Verfügung.
Für das Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch an einer Berichterstattung mit vollem Namen und Bild, für das nach §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz besonders strenge Anforderungen gelten, sprächen die herausgehobene Stellung des Mannes bei Wirecard sowie der dringende Tatverdacht, der zu einem Haftbefehl geführt habe. Gegen die identifizierende Berichterstattung führt das Gericht an, dass der Kronzeuge bis dato nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist und sich das Strafverfolgungsverfahren gegen ihn noch im nicht-öffentlichen Stadium des Ermittlungsverfahrens befinde.
Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss als Selbstöffnung?
Der Umstand, dass B. im Untersuchungsausschuss ausgesagt habe, veränderte aus Sicht des LG München I diese Interessenabwägung nicht. Bei seiner Aussage im Untersuchungsausschuss handele es sich insgesamt betrachtet "nicht um einen Vorgang von solchem Gewicht, dass ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit gerade auch an der Offenlegung der Identität des Verfügungsklägers besteht", heißt es in dem Urteil.
Die Anwälte des Spiegel-Verlags stellten maßgeblich darauf ab, dass B. sich geständig gezeigt habe, sich öffentlich entschuldigte und sich damit freiwillig an die Öffentlichkeit gewandt habe. Demnach seien noch nicht einmal die besonderen Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung oder der Unschuldsvermutung zu beachten. Dem folgten die LG-Richter nicht. Sie sahen den Eingriff in die Pressefreiheit auch deshalb als "überschaubar" an, weil eine Berichterstattung mit abgekürztem Nachnamen und einem verpixelten Foto zulässig bleibe.
"Kronzeugen genießen in unserer Rechtsordnung besonderen Schutz. Das gilt auch für das Presserecht, wie das Landgericht München bestätigt", sagt Rechtsanwalt Dr. Lucas Brost, der den Kronzeugen presserechtlich vertritt. "Eine Aussage vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss führt nicht zum Verlust des Anonymitätsanspruchs. Eine solche Folge wäre auch widersinnig: Unser kooperativer Mandant würde schlechter behandelt als derjenige, der eine Aussage verweigert." Brost rechnet damit, dass das Verfahren in der Hauptsache zum BGH geht.
LG München I zu Presseberichterstattung: . In: Legal Tribune Online, 18.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43785 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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