Verletzt sich ein Kunde an einem Preisschild, hat er nach Auffassung des LG München I meist keinen Anspruch auf Schmerzensgeld. Wie so oft ging es in diesem c.i.c.-Fall um die Frage: Welches Verhalten ist lebensnah, welches lebensfremd?
Eine Kundin besuchte einen Outlet Store und probierte in der Umkleide ein T-Shirt an. Dabei verletzte sie sich durch einen Stich des Preisschildes ins rechte Auge. Die Folgen gravierend: Eine Hornhauttransplantation war notwendig, die Kundin wird langfristig an Schmerzen leiden. Deswegen verklagte sie den Outlet-Betreiber vor dem Landgericht (LG) München I auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Sie forderte mindestens 5.000 Euro, doch erhält nichts: Das Gericht wies die Klage am Dienstag in vollem Umfang ab (Urt. v. 28.05.2024, Az. 29 O 13848/23). Denn der Store-Betreiber habe keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.
Maßgeblich waren die Grundsätze zur Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis, also während der Anbahnung eines Vertragsschlusses. Das spitze Preisschild reiht sich ein in die Rechtsprechung zur culpa in contrahendo (c.i.c.) gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Das LG musste danach hier entscheiden, ob und in welchem Umfang den Outlet-Betreiber eine Verkehrssicherungspflicht traf und welche Vorkehrungen zur Verhinderung des Schadens notwendig und zumutbar gewesen wären.
Der verteidigte sich vorliegend mit dem Argument, dass es sich um ein ganz normales Preisschild gehandelt habe: gerade mal neun Zentimeter mal fünf Zentimeter groß, abgerundete Ecken und an dem T-Shirt deutlich fühlbar. Von solch einem Schild gingen keine besonderen Gefahren aus. Auch sei es bisher noch nie zu Verletzungen durch dieses oder vergleichbare Preisschilder gekommen. Außerdem wies der Inhaber darauf hin, dass gesetzlich vorgeschrieben sei, entsprechende Preisschilder an den Waren anzubringen.
LG: Kunden werfen vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild
Das Gericht ließ sich von den Argumenten des Beklagten überzeugen: Verkehrssicherungspflichten treffen Geschäftsbetreiber nicht für "alle denkbar entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts". Sichernde Maßnahmen seien vielmehr "nur in dem Maße geboten, in dem sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält". Es komme entscheidend darauf an, welche Möglichkeiten die Geschädigte hatte, sich vor erkennbaren Gefahrenquellen selbst zu schützen. Und hier sieht das Gericht deutlich die Kundin in der Pflicht.
Beim Einkauf in einem Outlet-Store sei es so erwartbar, dass an dem anprobierten Kleidungsstück ein Preisschild hänge, dass die Kundin darauf hätte Acht nehmen müssen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung werfe ein Kunde bereits vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild und könne daher ohne weiteres selbst dafür Sorge tragen, dass er sich bei der Anprobe nicht verletze. Die Forderung der Kundin, gesondert auf das Vorhandensein von Preisschildern an der Kleidung hinzuweisen, hielt das Gericht für "lebensfremd und nicht zumutbar".
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
mka/LTO-Redaktion
Kein Schmerzensgeld für Augenverletzung in der Anprobe: . In: Legal Tribune Online, 28.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54640 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag