Fan mit Handbruch ins Krankenhaus: Wer haftet für Füllkrugs Fehl­schuss?

von Dr. Markus Sehl

18.06.2024

Niclas Füllkrug hat vor dem ersten EM-Spiel einem Fan durch einen verfehlten Schuss die Hand gebrochen. Haftet der Nationalspieler oder die UEFA auf Schadensersatz? Gerichte entschieden schon über gefährliche Fehlschüsse.

Es passierte noch bevor das EM-Eröffnungsspiel Deutschland-Schottland offiziell angepfiffen war. Der Nationalstürmer Niclas Füllkrug hatte laut eines Berichts der Bild-Zeitung beim Warmmachen mit einem Schuss das Tor verfehlt und einen seitlich dahinter sitzenden deutschen Fußball-Fan getroffen. Kai Flathmann aus Bremerhaven traf der Ball an der linken Hand. Später im Krankenhaus der Befund: Die Hand war gebrochen.

“Meinen Traum vom Eröffnungsspiel musste ich leider aufgeben. Aber wann bekommt man schon mal von Fülle die Hand gebrochen", berichtete der 43-Jährige mit Gips in Deutschlandfarben, der seitdem auf Instagram den Vorfall tapfer und mit Galgenhumor verarbeitet. Den 5:1-Erfolg der DFB-Auswahl in München musste er im Krankenhaus am Handy verfolgen.

Kai Flathmann zeigt Gips in Deutschlandfarben, Quelle: PrivatKollateralschäden unter Zuschauern bei Fußballspielen kommen immer wieder vor. Bekannt wurde ein Weitschuss von Weltfußballer Lionel Messi, der 2016 eine Zuschauerin im Stadion des FC Barcelona verletzte. So können Fehlschüsse auch Fälle für Anwälte und Gerichte werden. Denn schnell kann es um die Behandlungskosten gehen. Wie ist also die Rechtslage hinter dem Fußballtor?

Vorweg: Da Spieler selbst kein Vertragsverhältnis mit den Fans haben, kommt nur eine Haftung aus Deliktsrecht in Betracht. Dazu müsste ein Fußballer schuldhaft gehandelt haben, also vorsätzlich oder fahrlässig (§ 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Dies würde im Ausgangspunkt voraussetzen, dass ein Fußballspieler gegenüber den Fans im Stadion Sorgfaltspflichten hat. Kann das sein?

Gerichte entschieden schon über gefährliche Fehlschüsse 

Sicherlich nicht im Spiel selbst. Andernfalls könnten etwa Abwehrspieler nicht mehr bedenkenlos gefährliche Spielsituationen durch einen fulminanten Kick ins Toraus klären. Sie müssten sich vielmehr Gedanken darüber machen, ob sie dabei vielleicht einen Fan treffen und verletzen könnten.

Doch Füllkrugs Fehlschuss fand nicht während des Spiels, sondern während des Aufwärmtrainings statt. Und hier könnten nach der Rechtsprechung besondere Sorgfaltspflichten gelten. So hatten die Zivilgerichte in Oldenburg den Fall einer Frau zu entscheiden, die während des Aufwärmtrainings einer Altherrenmannschaft in Tornähe von einem Ball heftig im Gesicht getroffen wurde. Sie verlangte Schadensersatz und Schmerzensgeld vom Spieler.

Das Landgericht Oldenburg lehnte dies noch ab. Es sei beim Fußball nicht zu vermeiden, dass Bälle auch mal daneben gehen. Die Frau sei selbst schuld, da sie in der Nähe des Tores gestanden habe. Die Frau aber gab nicht auf und rief die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Oldenburg, an. Und dort hatte sie Erfolg (Urteil vom 29.10.2020 – 1 U 66/20), wie LTO 2021 berichtete: Der Spieler der Altherrenmannschaft habe fahrlässig gehandelt und sich nicht im Rahmen eines erlaubten Risikos bewegt. Denn die Mannschaft sei noch beim Aufwärmtraining gewesen, während das eigentliche Training noch gar nicht begonnen habe. Daher hätte auf anwesende Personen Rücksicht genommen werden müssen. Der Fußballer sei rücksichtslos gewesen. Denn er habe den Ball sehr fest geschossen und nicht nur in Richtung Tor gelupft.

Die Frau treffe allerdings ein Mitverschulden. Sie habe sehen können, dass die Altherrenmannschaft bereits mit dem Ball spielte. Es habe keine Notwendigkeit bestanden, sich gerade in der Nähe des Tores aufzuhalten. Daher bekam sie nur 70 Prozent der geltend gemachten Schmerzensgeld- und Schadensersatzsumme.

Schuldet Füllkrug Schmerzensgeld? 

Was heißt das nun für den Fall Füllkrug? Auch hier handelte es sich "nur" um das Aufwärmtraining und nicht das eigentliche Spiel im Stadion. Allerdings aber offenbar um das ganz normale Schusstraining. Dass der Schuss daneben ging, kann für ein fahrlässiges Handeln nicht ausreichen; es ist vielmehr dem Schusstraining immanent, dass nicht jeder Treffer im Tor landet. 

Zudem drängte sich für Füllkrug auch nicht auf, sich besonders vorsichtig verhalten zu müssen. Anders als im Oldenburg-Beispiel war die getroffene Person gerade nicht im Torbereich für Füllkrug sichtbar. Vielmehr wurde eine Person getroffen, die sich bei ihrem zugewiesenen Sitzplatz aufhielt. Warum sollte er da in der Aufwärmphase rücksichtsvoller sein als während des Spiels. Füllkrug hat auch nicht etwa aus Frust einen Ball absichtlich in Richtung der Fans geschossen.

Füllkrug trifft demnach keine Schuld. Er muss keinen Schadensersatz zahlen. Dass der DFB gleichwohl angekündigt hat, dem Fan ein Trikot und eine Grußbotschaft von Füllkrug zu übersenden, ist natürlich gleichwohl eine aufmerksame Geste.

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Und haftet die UEFA?

Doch wie sieht es mit der UEFA aus? Bei Spielen des FC Bayern München hängen hinter den Toren Netze, die die scharf geschossenen Bälle abfangen. Warum diese für die EM abgenommen wurden, war nach Medienberichten zunächst nicht bekannt. Hat die UEFA durch das Abhängen eine deliktsrechtliche Verkehrssicherungspflicht verletzt?

Auf LTO-Anfrage antwortete die UEFA am späten Dienstagabend, im Sinne des Zuschauererlebnisses werde bei der UEFA EURO 2024 in allen Stadien auf Netze hinter den Toren verzichtet. "Dies geschieht auch vor dem Hintergrund, dass das Risiko von Wurfgegenständen bei diesem Turnier und generell bei einer EURO als niedrig eingestuft wird", so die UEFA-Pressestelle. Nach Auffassung der UEFA sollen die Netze also vor allem die Spielenden vor den Zuschauern schützen und nicht umgekehrt. So dicht saß Fan Flathmann am Tor, Quelle Instagram

 

Die Pressestelle erklärte weiter, dass aus ihrer Sicht sich die Verkehrssicherungspflicht bei einer Sportstätte grundsätzlich nicht darauf beziehe, Teilnehmende (Sportler, Zuschauer etc.) vor solchen Gefahren zu schützen. Und verweist auf ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen beim Ticketkauf, sowie die Stadienordnung.*

Eine rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Bei der Frage, ob Fangnetze erforderlich sind, dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass Fußballprofis Schüsse in Richtung Tor abgeben, die mit bis zu 145 km/h das Tempo von Kanonenkugeln erreichen. Bei seinem Treffer zum zwischenzeitlichen 4:0 soll Füllkrugs Schuss 110 km/h schnell gewesen sein. 

Vorliegend kommen vorrangig sogar vertragliche Ansprüche des Zuschauers gegen die UEFA in Betracht. Denn als Ticketbesitzer hat er mit der UEFA einen Vertrag geschlossen. Dieser beinhaltet Nebenpflichten, zu denen er der Schutz auf körperliche Unversehrtheit des Vertragspartners gehört (§ 241 Abs. 2 BGB). Die UEFA-Stadionordnung schließt eine solche Haftung auch ausdrücklich nicht aus (Punkt 9.3). Dies wäre rechtlich auch nicht zulässig (siehe § 309 Nr. 7 BGB). Die UEFA sieht auf LTO-Anfrage aber keinen Haftungsfall.

Flathmanns Fussballfreude ist ungebrochen 

Wer auf einem Platz in der Nähe des Tors sitzt, ist nah dran am Geschehen. Aber er sitzt auch gefährlich. So erging es auch einer Zuschauerin, die 2016 von einem Weitschuss von Weltfußballer Lionel Messi getroffen wurde. Der Ball flog über die Latte, die Frau konnte ihn noch abwehren. Dabei habe sie aber laut Medienberichten entweder sich das Handgelenk gebrochen oder lediglich umgeknickt. Jedenfalls musste sie in ein Krankenhaus gebracht werden. Der damalige Verein von Messi, der FC Barcelona, soll die Behandlungskosten übernommen haben. Neben dem getroffenen Fan selbst könnte auch die jeweilige Krankenkasse auf die Idee kommen, Haftungsansprüche zu stellen.

Kai Flathmann selbst will jedenfalls auf keinen Fall gegen Füllkrug oder die UEFA vorgehen, teilt er gegenüber LTO auf Anfrage mit. Auch einen Schockschaden scheint der getroffene Fan nicht erlitten zu haben. Seine Fussballfreude ist vielmehr ungebrochen. Er kündigte auf Instagram bereits an, was für ihn als Nächstes ansteht: "Am Mittwoch geht's weiter in Stuttgart und ich werde die Mannschaft hinterm Tor anfeuern". 

 

Anm. d. Red. Beitrag ergänzt um Antworten der UEFA auf LTO-Anfrage, Beitrag in der Version vom 18.06.2024, 23:11 Uhr.

Zitiervorschlag

Fan mit Handbruch ins Krankenhaus: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54801 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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