LG München I erlässt einstweilige Verfügung gegen Twitter: #twit­ter­sperrt - Satire-Tweet zu Unrecht gelöscht

05.07.2019

Vor der Europawahl trendete der Hashtag #twittersperrt. Unter anderem, weil das Netzwerk einen satirischen Tweet in Richtung von AfD-Wählern gesperrt hatte - wegen Wahlbeeinflussung. Das LG München I hält das für rechtswidrig.

Das Landgericht (LG) München I hat am 17. Juni per einstweiliger Verfügung Twitter untersagt, einen satirischen Tweet zur Europawahl zu löschen und den Urheber zu sperren. Der Internetkonzern muss bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von einer Viertelmillion Euro zahlen (Beschl. v. 17.06.2019, Az. 10 O 7388/19).

In dem Tweet des Romanautoren und Kolumnisten Tom Hillenbrand vom 6. Mai hatte es geheißen: "Alle AfD-Wähler sollten: - ihren Wahlzettel fotografieren - ihn unterschreiben - Foto auf Insta posten - Wahlzettel danach aufessen". Der Tweet wurde von Twitter gelöscht und der Account von Hillenbrand unter Berufung auf eine interne Richtlinie, mit der Wahlbeeinflussung im Vorfeld der Europawahl verhindert werden sollte, gesperrt.

Anderen Nutzern, auch aus der Jura-Community, widerfuhr Ähnliches. So hatte etwa auch der auf Twitter sehr aktive IT-Rechtsanwalt und Blogger Thomas Stadler zeitweise keinen Zugriff auf seinen Account, u. a. für den Vorschlag an AfD-Wähler, ihren Wahlzettel zu unterschreiben - was ihn ungültig machen würde. Als sich die Sperren häuften,  trendete schließlich der Hashtag #twittersperrt, unter dem sich Nutzer über die breite Lösch- und Sperr-Praxis des Netzwerks empörten.

Hillenbrand legte über das Twitter-Beschwerdeformular Einspruch gegen die Maßnahmen ein und forderte das Netzwerk zudem schriftlich zur Unterlassung auf. Eine Reaktion blieb aber aus.

Nicht einmal Twitter-Richtlinie verletzt

In seinem im Eilverfahren ergangenen Beschluss, der LTO vorliegt, erklärt das LG München I nun, dass Twitter mit der Löschung gegen vertragliche Nebenpflichten verstoßen habe. Dabei bemühte der zuständige Einzelrichter die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, die er hier berührt sah. Danach habe Twitter seine Pflicht, auf das Grundrecht Hillenbrands auf Meinungsfreiheit Rücksicht zu nehmen, durch die Löschung und Sperrung verletzt.

Der Tweet des Autors falle auch gar nicht unter Twitters eigene Richtlinie zur Verhinderung von Wahlbeeinflussung, da er keinen der dort genannten Tatbestände der "Unterdrückung und Einschüchterung von Wählern", "Falschen oder irreführenden Zugehörigkeit" oder "Irreführenden Informationen zur Teilnahme" erfülle. Auch im Übrigen sei der Tweet nicht zu beanstanden. Es handele sich um eine Aussage mit "satirische(m) Charakter", was spätestens durch die Aufforderung zum Aufessen des Wahlzettels erkennbar werde. Eine soziales Netzwerk könne nicht nach freiem Ermessen von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerungen auf seiner Plattform löschen.

Accountsperrung muss im Hauptsacheverfahren angegriffen werden

Den Anspruch auf Freischaltung seines Accounts hingegen wollte man Hillenbrand im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zubilligen. Täte man dies, würde man die Entscheidung im Hauptsacheverfahren in unzulässiger Weise vorwegnehmen, da eine Leistung zuerkannt würde, so der Richter.  Einen Grund, ausnahmsweise jetzt schon über seinen Anspruch auf ungehinderte Nutzung des Accounts zu befinden, gebe es nicht. Schließlich sei die Sperrung nur vorübergehend gewesen und eine neuerliche Sperrung bei Wiedereinstellen des Tweets drohe nicht, da dem durch das Verbot der Löschung bereits die Grundlage entzogen sei. Außerdem sei ein Twitter-Account auch kein essentielles Gut wie Wasser oder Strom, welches zwingend schon im Eilverfahren zuerkannt werden müsse.

Anders entschied noch das LG Berlin in einer einstweiligen Verfügung betreffend zwei Tweets des Berliner Landesverbands der AfD, deren Löschung aufgrund von Wahlbeeinflussung ebenfalls untersagt worden war. Das Berliner Gericht hatte neben der Löschung des Tweets auch die Sperrung des Accounts der Partei untersagt. Dem folge man aus den genannten Gründen nicht, betonte der Münchener Kollege nun explizit.

Rechtsanwalt Dr. Jörn Claßen von der Kanzlei Höcker Rechtsanwälte, der Hillenbrand in dem Verfahren vertritt, wertete die Entscheidung gegenüber LTO dennoch als Sieg: "Auch das LG München schiebt den Willkür-Löschungen von Twitter, Facebook & Co. einen Riegel vor", so Claßen. "Durch die Entscheidung werden die Grundrechte der Nutzer gestärkt." Der Anwalt sieht auch einen Zusammenhang der Löschpraxis von Twitter mit dem viel kritisierten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das Soziale Medien dazu anhalten soll, rechtswidrige Inhalte schnell von ihren Seiten zu entfernen: "Die Gerichte tarieren die vorhergesagten Schwächen des NetzDG aus."

Zitiervorschlag

LG München I erlässt einstweilige Verfügung gegen Twitter: . In: Legal Tribune Online, 05.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36337 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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