LG Frankfurt am Main: Bun­des­re­pu­blik haftet nicht im Die­selskandal

24.11.2020

Auf vielen Wegen versuchen sich die Betroffenen des Dieselskandals gegen VW zu wehren. Einige versuchen auch, Schadensersatz von der Bundesrepublik Deutschland zu bekommen. Dem erteilte das LG Frankfurt nun aber eine Absage.

Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Diesel-PKW haben keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Bundesrepublik Deutschland. Das entschied das Landgericht Frankfurt am Main (LG) in einem am Montag veröffentlichten Urteil (Urt. v. 21.10.2020, Az. 2-04 O 425/19, 2-04 O 449/19, 2-04 O 455/19 und 2-04 O 123/20).

Die Musterfeststellungsklage gegen VW ist mittlerweile mit einem Vergleich beendet worden, doch nach wie vor versuchen Betroffene des Dieselskandals auf verschiedenen Wegen gegen den VW-Konzern vorzugehen. Einige Dieselfahrer, die mit den Abschalteinrichtungen versehene Fahrzeuge der Marken VW und Audi gekauft hatten, klagten vor dem LG Frankfurt am Main – und zwar gegen die Bundesrepublik Deutschland. Sie machten geltend, die Bundesrepublik habe europäisches Recht nicht ausreichend in nationales Recht umgesetzt. Setzt ein Mitgliedsstaat eine Richtlinie nicht ausreichend oder sogar gar nicht um, können daraus nämlich Staatshaftungsansprüche der Bürger erwachsen, sofern die Richtlinie Individualinteressen dient. Außerdem, so die klagenden Dieselfahrer, sei bei der Überwachung der Automobilindustrie "qualifiziert" gegen Kontrollpflichten verstoßen worden.

Richtlinie ausreichend umgesetzt

Das sah das LG nun aber anders. Zunächst habe Deutschland die entsprechende EU-Richtlinie (RL 2007/46/EG zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen) ordnungsgemäß umgesetzt. "Die Mitgliedstaaten haben bei Verstößen gegen die Richtlinie einen Ermessensspielraum, welche Sanktionen sie festlegen", erklärte die 4. Zivilkammer des LG, die für Staatshaftungsansprüche zuständig ist.

In Deutschland sei dies ausreichend geschehen. Es sei zum einen die Möglichkeit der Rücknahme von Typengenehmigungen geschaffen worden. Darüber hinaus könne die Nichtbeachtung der entsprechenden Regeln aus dem Straßenverkehrsgesetz als sanktionsbewehrte Ordnungswidrigkeit geahndet werden und das Inverkehrbringen eines manipulierten Fahrzeugs könne sogar strafrechtlich als Betrug verfolgt werden. Den Einwand der klagenden Dieselfahrer, härtere Sanktionen wie in den USA hätten eher vor Manipulationen abgeschreckt, sah die Kammer nicht ausreichend mit Tatsachen belegt.

Deutschland hat die Automobilindustrie gut genug überwacht

Auch die von den klagenden VW- und Audi-Kunden vorgebrachte Pflichtverletzung der Bundesrepublik durch unzureichende Überwachung der Automobilindustrie sah das Gericht nicht. Für einen Staatshaftungsanspruch müsse Deutschland seine Pflichten in qualifizierter Weise verletzt haben.

"Dass das Kraftfahrzeugbundesamt offenbar den Herstellerangaben zu Laufstandmessungen vertraute, ist nicht so verwerflich, dass darin der für die Staatshaftung erforderliche qualifizierte Verstoß zu sehen ist", befand das LG. Und weiter: "Dass der namhafte Hersteller des Fahrzeugs, an dessen Konzernmutter das Land Niedersachen aktienrechtlich erheblich beteiligt ist, Messungen mithilfe der Abschalteinrichtung manipulierte, war bis Herbst 2015 wohl eher als abwegig anzusehen."

Keine individuellen Rechte, keine Klage

Schließlich, so die Kammer, scheiterten Schadensersatzansprüche ohnehin daran, dass keine unionsrechtliche Norm den Schutz der individuellen Rechte der Autofahrer bezwecke. Aus den Erwägungsgründen zur genannten Richtlinie ergebe sich vielmehr, dass die Regelungen lediglich Allgemeininteressen zu dienen bestimmt sind. Individualinteressen wie das Vermögensinteresse von Autokäufern fänden in den Gründen überhaupt keine Erwähnung. Die Dieselfahrer seien daher gehalten, die Fahrzeughersteller auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.

Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

ast/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

LG Frankfurt am Main: . In: Legal Tribune Online, 24.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43518 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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