Bei den Aktionärsklagen gegen Volkswagen ist eine wichtige Etappe überwunden: Das LG Braunschweig hat einen Vorlagebeschluss gemäß KapMuG erlassen. Das Musterverfahren wird komplex und langwierig.
Das Landgericht (LG) Braunschweig hat mit einem Vorlagebeschluss den Weg für ein Musterverfahren wegen der VW-Aktionärsklagen freigemacht (Beschl. v. 05.08.2016, Az. 5 OH 62/16). Nach den Kursverlusten im Zuge des Diesel-Skandals geht es bei den 170 zugelassenen Schadensersatzklagen um einen Streitwert von insgesamt knapp vier Milliarden Euro. Wenn alle Kläger gehört wurden, werden als nächster Schritt des komplexen, mehrstufigen Prozesses alle Verfahren bis zur Klärung des Musterverfahrens ausgesetzt.
Als Zeitfenster für dessen offiziellen Beginn wird "frühestens" Ende 2016 angepeilt. "Es geht darum, einen Zeitrahmen abzustecken - das heißt aber nicht, dass dieser dann auch eintritt", sagte Richterin Maike Block-Cavallaro mit Hinweis auf das umfassende und langwierige Verfahren. Danach wird dann ein Musterkläger bestimmt. Die Bündelung für die höhere Gerichtsinstanz ist über das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) möglich. Es eröffnet die Chance, stellvertretend für andere vor dem Oberlandesgericht (OLG) ein Verfahren zu führen und Streitfragen zu klären.
Die Begründung für das Gesetz lautete 2005, dass Massenklagen wie bei der Telekom nach der bestehenden Zivilprozessordnung nicht mehr zu bewältigen seien. Daher ist das Gesetz auch unter dem Namen "Lex Telekom" bekannt. Es wurde 2012 reformiert. Im Kern geht es darum, zentrale Rechtsfragen sämtlicher Fälle bereits vorab von der nächsthöheren Instanz verbindlich entscheiden zu lassen. Dafür wird aus der Vielzahl der ganz ähnlich gelagerten Klagen ein einziger Fall als Exempel herausgegriffen.
Nicht mit Sammelklage vergleichbar
Bei Uneinigkeit kann das Prozedere bis zum Bundesgerichtshof (BGH) gehen. Nach der Grundsatzentscheidung muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die KapMuG-Entscheidung passt, um ein individuelles Urteil auszufertigen. Sollte eine Partei nicht einverstanden sein, wird der Einzelfall dennoch mit allen Besonderheiten durchverhandelt. Dabei behält der KapMuG-Musterentscheid aber seine bindende Wirkung.
Da das KapMug gewissermaßen nur zentrale Fragen vorab notfalls auch höchstrichterlich klären lässt, ist es nicht mit Sammelklagen zu vergleichen, die etwa das US-Rechtssystem kennt ("class action"). Dabei müssen Kläger nicht ihren individuellen Schaden nachweisen, sondern nur ihre Zugehörigkeit zur betroffenen Gruppe ("class"). Daher münden Sammelklagen in den USA oft in große Vergleiche.
Hat VW Aktionäre zu spät informiert?
Das LG Braunschweig hat dem OLG in der gleichen Stadt inhaltliche und rechtliche Fragen zum Dieselgate-Skandal und den daraus resultierenden Ansprüchen geschädigter Aktionäre zur Feststellung vorgelegt. Das Schriftstück enthält somit neben einer knappen Darstellung des Sachverhalts auch eine Reihe von Zielen, die aus den Anträgen der Aktionärskläger für das Musterverfahren zusammengefasst wurden.
Das OLG Braunschweig wird nun im weiteren Verfahrensgang den Musterkläger aus denjenigen Klägern bestimmen, deren Verfahren durch das LG Braunschweig ausgesetzt worden sind. Nach Auswahl des Musterklägers wird das OLG das Musterverfahren im Klageregister des elektronischen Bundesanzeigers öffentlich bekannt machen. Ab der Bekanntmachung kann ein Anspruch in einer Frist von sechs Monaten schriftlich gegenüber dem OLG zum Musterverfahren angemeldet werden.
"Mit der Eröffnung des Musterverfahrens ist wohl kaum vor Ablauf der Verjährungsfrist am 18. September 2016 zu rechnen", erklärte Klaus Nieding, Vorstand der Rechtsanwaltskanzlei Nieding + Barth. Jeder Geschädigte müsse deshalb die Verjährung durch eine Klage unterbrechen, um seine Ansprüche nicht zu verlieren.
Die klagenden Aktionäre und Anleihegläubiger sehen im Zuge der Affäre um manipulierte Emissionswerte kapitalmarktrechtliche Informationspflichten verletzt, weil VW angeblich zu spät über die möglichen finanziellen Folgen des Skandals Auskunft gegeben hat. Die VW-Aktie stürzte nach dem Ausbruch der Abgas-Affäre ab, viele Anleger wollen sich ihre Verluste vom Unternehmen erstatten lassen. Ihr Argument: VW hätte deutlich früher über die Probleme informieren müssen, weil Kursabschläge drohten. VW ist der Überzeugung, alle Regeln für die Information der Kapitalmärkte eingehalten zu haben.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Musterverfahren bei VW-Aktionärsklagen: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20235 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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