Eine Berliner Mieterin muss mit ihren 89 Jahren nicht noch einmal umziehen. Wegen ihres hohen Alters und ihrer langjährigen und tiefen Verwurzelung an ihrem Wohnort kann sie die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, so das LG Berlin.
Das Landgericht (LG) Berlin hat den Schutz alter und am Wohnort verwurzelter Mieterinnen und Mieter vor Eigenbedarfskündigungen gestärkt und einer 89-jährigen Mieterin im Streit mit ihrer Vermieterin Recht gegeben. Die Frau könne von der Vermieterin unter Berufung auf ihr hohes Lebensalter und ihre langjährige und tiefe Verwurzelung am Ort der Mietsache die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, so das Gericht in einer Mitteilung am Donnerstag (Urt. v. 25.05.2021, Az. 67 S 345/18).
Die 89-jährige Beklagte hatte ihre Wohnung im Jahre 1997 von der den Rechtsvorgängern der klagenden Vermieterin angemietet. Im Jahre 2015 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Die Beklagte und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann widersprachen den Kündigungen unter Verweis auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkten finanziellen Mittel.
Der Fall beschäftigte das LG bereits im Jahr 2019. Damals entschied das LG, dass der Mieterin gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) allein aufgrund ihres hohen Lebensalters ein Anspruch auf eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses zustehe. Die dagegen gerichtete Revision der Vermieterin hatte am Bundesgerichtshof (BGH) jedoch Erfolg (Urt. v. 03.02.2021, Az. VIII ZR 68/19). Das hohe Alter eines Mieters allein begründe ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter noch keine besondere Härte, so der BGH. Außerdem ließe die langjährige Mietdauer für sich genommen noch nicht auf eine tiefe Verwurzelung am Wohnort schließen. Der BGH hob das Urteil des LG damit teilweise auf und verwies den Rechtsstreit zurück nach Berlin.
Wohnungsverlust würde auf Verletzung der Menschenwürde hinauslaufen
Das LG wies die Berufung der Vermieterin nunmehr erneut zurück. Die Mieterin könne sich im Einzelfall auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen berechtigt auf die Fortsetzung des Mietverhältnisses berufen, so das LG. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich die Mieter zum Zeitpunkt des Wohnungsverlustes bereits in einem hohen Lebensalter befänden und zudem aufgrund eines langjährigen Mietverhältnisses tief am Ort der Mietsache verwurzelt seien. Diese Voraussetzungen hat die Kammer nach erneuter Tatsachenfeststellung in dem zugrundeliegenden Fall für gegeben erachtet.
Die Folgen des Wohnungsverlustes seien für die Beklagte so schwerwiegend, dass sie auf eine Verletzung ihrer durch Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierten Menschenwürde hinausliefen, so das LG weiter. Eine Interessenabwägung zu Gunsten der Vermieterin käme in einem solchen Fall allenfalls in besonderen Ausnahmefällen in Betracht. Ein solcher Fall liege hier jedoch nicht vor, da die von der Klägerin beabsichtigte Eigennutzung der Wohnung "lediglich auf bloßen Komfortzuwachs und die Vermeidung unerheblicher wirtschaftlicher Nachteile" gerichtet sei.
acr/LTO-Redaktion
LG Berlin zur Eigenbedarfskündigung: . In: Legal Tribune Online, 27.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45060 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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