LG Hamburg zum Pimmelgate: Durch­su­chung absolut unver­hält­nis­mäßig

08.08.2022

"Andy, gib Geld" twitterte der ehemals Beschuldigte zur Entscheidung des LG Hamburg. Für die rechtswidrige Durchsuchung eine Entschädigung zu bekommen, könnte schwierig werden und wenn käme das Geld vom Staat und nicht von Grote.

Nachdem das Verfahren, das im Zusammenhang mit dem sog. Pimmelgate steht, wegen fehlenden öffentlichen Interesses eingestellt wurde, entschied das Landgericht (LG) Hamburg mit seiner Entscheidung vom 27. Juli, dass die Durchsuchung einer Wohnung in St. Pauli unverhältnismäßig war (Az. 631 Qs 17/22). Die Umstände der Durchsuchung waren schon im September 2021 erheblich kritisiert worden und schlugen Wellen bis in die Hauptstadt der USA, wo die Washington Post berichtete ("It was 6 a.m. when six German police officers came knocking on the door of a Twitter user in Hamburg").

Nachdem der Tweet "Du bist 1 Pimmel" veröffentlicht worden war, stellte Andy Grote im Juni 2021 einen Strafantrag wegen Beleidigung. Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hatte die Staatsanwaltschaft daraufhin am 25. August 2021 den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses beim Amtsgericht Hamburg beantragt. Am selben Tag, an dem der zuständige Ermittlungsrichter den Durchsuchungsbeschluss erließ, erschien der Twitternutzer bei der Polizei und gab an den Twitter Account "ZooStPauli" zu betreiben.

Daher nahm der Ermittlungsrichter das Vorliegen eines Anfangsverdachts und die Auffindewahrscheinlichkeit von Beweismitteln als gegeben an. Weil es sich bei einer Durchsuchung (§§ 102, 105 StPO) um einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre (Artikel 13 GG) handelt, muss die Maßnahme insbesondere auch verhältnismäßig sein. Die Staatsanwaltschaft hat unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes die Durchsuchung der Wohnung wegen des Tweets für angemessen erachtet.

Sechs Beamten um sechs Uhr morgens

Über eine Woche nach Erlass des Durchsuchungsbeschlusses stürmte die Polizei im Stadtteil St. Pauli eine Privatwohnung. Der Beschuldigte twitterte zu dieser Maßnahme "Heute morgen um 6.00 gab es eine Hausdurchsuchung. 6 Beamt*innen in der Wohnung. Gesucht wurde das Gerät, mit dem 'du bist so 1 Pimmel' unter einen Tweet von Andy Grote geschrieben wurde. Sie wissen, dass zwei kleine Kinder in diesem Haushalt leben. Guten Morgen, Deutschland."

Bei der Wohnung, die die Polizei in den frühen Morgenstunden durchsuchte, handelte es sich nicht um die Wohnung des Twitter-Nutzers, sondern um die seiner ehemaligen Freundin. Diese legte wegen der Umstände der Durchsuchung im Juni 2022 Beschwerde (§ 304 StPO) ein.

Auch der Abgeordnete Deniz Celik (Die Linke) richtete im Anschluss an die umstrittene Durchsuchung am 9. September 2021 eine kleine Anfrage an den Hamburger Senat. Zur Nachfrage, wie die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu bewerten sei, äußerte der Senat lediglich, dass das Verfahren der autonomen Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden mit der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens obliege.

Sie habe in diesem Fall einen Durchsuchungsbeschluss des richterlich unabhängigen Amtsgerichts erwirkt. "Sowohl entsprechende Strafanzeigen und -anträge, als auch Durchsuchungen zur weiteren Tatermittlung werden auch in Zukunft erforderlich sein, um gegen Hasskriminalität und Beleidigungen im Internet effektiv vorzugehen", heißt es in der Drucksache 22/5713.

Unangemessenheit der Durchsuchung

Das LG Hamburg war in diesem Fall offenbar anderer Meinung und erklärte die Durchsuchung für unangemessen. Die Schwere der Beleidigung sei angesichts Grotes Verhaltens "eher am unteren Rand der Erheblichkeitsschwelle einzustufen", befand das LG in seiner Entscheidung vom 27. Juli. Auch wenn die gesetzlichen Voraussetzungen einer Durchsuchung an sich vorlagen, fehlte es nach Auffassung der Kammer an der stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeit zwischen dem mit der Durchsuchung verbundenen Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung und der Schwere der Straftat und dem daraus folgenden Strafverfolgungsinteresse des Staates.

Der ehemalige Beschuldigte sei weder schwer noch einschlägig vorbestraft gewesen. Zudem sei sein im Gesamtkontext zum Vorverhalten des Innensenators zu betrachten, so das LG Hamburg. Dieser habe am 10. Juni 2020 selbst gegen geltende Corona-Auflagen verstoßen, indem er anlässlich seiner Wiederernennung als Senator 30 Personen in eine Bar in Hamburg eingeladen habe. In diesem Zusammenhang war gegen ihn ein Bußgeld in Höhe von 1.000 Euro verhängt worden. Dies hatte Grote auch akzeptiert. 

Vor diesem Hintergrund sei die Wortwahl des Senators in seinem Post vom 30. Mai 2021, in dem er Feiernde in der Schanze, die (ebenfalls) gegen Corona-Auflagen verstießen, als "dämlich" und ihr Verhalten als "ignorant" bezeichnet habe, bei der Beurteilung der Beleidigung durch den Beschuldigten zu berücksichtigen. Der Twitternutzer war als Eigentümer einer Kneipe von dem Kommentar unmittelbar betroffen gewesen. Nach alledem habe dem vormals Beschuldigten allenfalls eine geringfügige Geldstrafe gedroht. Die Anordnung der Durchsuchung sei vor diesem Hintergrund unangemessen gewesen.

Möglich wäre ein Amtshaftungsanspruch

"Ob dem Twitter-User auf Grundlage der Rechtsprechungspraxis Ersatzansprüche für einen etwaigen Vermögensschaden zustehen, ist nicht trivial.", meint Dr. Yves Georg, Rechtsanwalt und Strafverteidiger aus Hamburg. "Zu beachten ist, dass das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) nach herrschender Ansicht nur für rechtmäßige Strafverfolgungsmaßnahmen gilt. Für eine rechtswidrige Strafverfolgungsmaßnahme, wie sie hier in Rede steht, soll hingegen allein der Amtshaftungsanspruch des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG Schadensersatzansprüche gewähren.

Ob dessen Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere ob ein Verschulden des Ermittlungsrichters, der den rechtswidrigen Durchsuchungsbeschluss erlassen hat, vorliegt, ist indessen zweifelhaft: Nach der Rechtsprechung genügt hierfür eine fehlerhafte rechtliche Beurteilung, also eine „Unrichtigkeit“ der Entscheidung nicht. Vielmehr muss die Entscheidung unvertretbar sein. Dass dies bei einem ermittlungsrichterlichen Beschluss der Fall ist, der lediglich bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu einem anderen Ergebnis kommt als später das Landgericht, drängt sich jedenfalls nicht auf."

Die Wertungswidersprüchlichkeit eines solchen Ergebnisses, nach dem der Twitter-User für eine rechtswidrige Durchsuchungsmaßnahme keine Ersatzansprüche habe, für eine rechtmäßige Maßnahme hingegen Ansprüche nach dem StrEG hätte, sei freilich evident, meint Georg. Richtigerweise müsse das StrEG daher erst recht für rechtswidrige Maßnahmen gelten. Dass im Falle einer Verfassungsbeschwerde des Twitter-Users nach Erschöpfen des Rechtswegs zum Erlangen von Schadensersatz das Bundesverfassungsgericht die herrschende Auslegung zum StrEG und deren Konsequenzen nicht billigen würde, hält Georg nicht für fernliegend.

ku/LTO-Redaktion

 

* Aktualisierte Textversion vom 10.08.22, 09.30 Uhr. In einer vorherigen Textfassung hieß es, dass dem Twitter-User aufgrund der Durchsuchung mögliche Schadensersatzansprüche nach dem StrEG zustehen könnten.

Zitiervorschlag

LG Hamburg zum Pimmelgate: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49257 (abgerufen am: 16.11.2024 )

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