Unbezahlt einarbeiten, später als Angestellte übernommen werden: Mit diesem Versprechen treten viele Arbeitssuchende unbezahlte Praktika an. Doch oft folgt auf ein "Schnupperpraktikum" bloß das nächste. Nach acht Monaten war es einer Bochumer Praktikantin zu viel geworden: Sie klagte auf nachträgliche Bezahlung, das ArbG sprach ihr gut 17.000 Euro zu. Nun hat das LAG die Entscheidung aufgehoben.
Der Fall der REWE-Praktikantin, die ihren einstigen Arbeitgeber auf Bezahlung ihrer zunächst unentgeltlich geleisteten Arbeitsstunden verklagt hatte, schrieb im März dieses Jahres Schlagzeilen. Das Arbeitsgericht (ArbG) Bochum hatte den Supermarkt zur nachträglichen Zahlung von 17.000 Euro verurteilt – das entsprach einem Lohn von zehn Euro für jede der durch die Klägerin fein säuberlich dokumentierten 1.728 Arbeitsstunden. "Dass sie ihre Zeiten so genau aufgeschrieben hat, hat sicher zum Erfolg ihrer Klage beigetragen", erklärt der Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht Christian Oberwetter. "Fragwürdige Staffelungen unbezahlter Praktika gibt es immer wieder einmal – aber nur selten können die Betroffenen ihren zeitlichen Einsatz so genau nachweisen".
Die 19-Jährige war zunächst Ende Oktober 2012 für ein unentgeltliches Schnupperpraktikum eingestellt worden. Dieses wurde von den Parteien in der Folgezeit immer wieder verlängert, ohne jedoch eine Bezahlung auch der späteren "Praktika" vorzusehen. Im März 2013 vereinbarten sie zudem, dass die Klägerin ab September 2013 eine Ausbildungsstelle im Betrieb des Beklagten antreten sollte. Noch zuvor, nämlich im Juli 2013, beendete sie jedoch ihre Tätigkeit und verklagte den Supermarkt auf Zahlung.
Klägerin hatte monatelang vollwertig im Betrieb mitgearbeitet
Mit anfänglichem Erfolg: Das ArbG Bochum fand, dass die Klägerin wie eine Verkäuferin oder (Aus-)Hilfskraft in den Betrieb eingegliedert gewesen sei. Bei ihrer Tätigkeit sei es nicht darum gegangen, einen "Einblick" in die Arbeit im Supermarkt zu erhalten, sondern an dieser vollwertig teilzunehmen. Es schade auch nicht, dass sie die Praktikumsverträge aus freien Stücken unterzeichnet habe: wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Gestalt des "Lohnwuchers" seien diese nichtig. Die Klägerin habe sich nur deshalb auf die unbezahlte Arbeit eingelassen, weil sie angenommen hätte, auf anderem Wege nicht an eine Ausbildung gelangen zu können. An dieser subjektiven Zwangslage ändere auch die Tatsache nichts, dass sie letztlich vor Beginn der vereinbarten Ausbildung gekündigt habe.
Dem schloss sich das LAG in der Berufungsverhandlung am Freitag nicht an. Als maßgeblich erachtete das Gericht vielmehr die Tatsache, dass die Klägerin bereits seit September 2012, also vor Beginn ihres ersten Praktikums, Teilnehmerin einer berufsvorbereitenden Maßnahme des Berufsbildungszentrums des Handels gewesen sei. Einen Rahmenvertrag zwischen diesem und dem Supermarkt, wonach die Beschäftigung von über das Berufsbildungszentrum vermittelten Praktikanten unentgeltlich erfolgen sollte, hatte die Vorinstanz noch als unerheblich bzw als unwirksamen Vertrag zulasten Dritter beurteilt.
LAG: Kein klassischer Fall von Praktikantenausbeutung
Nicht so das Berufungsgericht. Die Klägerin, die mit einem Notenschnitt von 4,0 von der Hauptschule abgegangen und bereits seit Langem auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle gewesen sei, habe von der Arbeitsagentur Berufsausbildungsbeihilfe und vom Berufsbildungszentrum Zuschüsse für eine Monatskarte im Nahverkehr erhalten. Die Praktika hätten als berufsvorbereitende Maßnahmen stattgefunden und wären ja auch tatsächlich in die erhoffte Ausbildungsstelle gemündet, wenn die Klägerin nicht zuvor das Beschäftigungsverhältnis beendet hätte.
Ein Sprecher des LAG betonte, dass der Fall gerade keine typische Konstellation von Praktikantenausbeutung sei. Vielmehr sei der Sachverhalt nach sozialversicherungs- und nicht nach arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten sei kein wirksamer Arbeitsvertrag zu Stande gekommen, ein Anspruch auf Lohn stehe ihr nicht zu (Urt. v. 17.10.2014, Az. 1 Sa 664/14). Das LAG ließ die Revision nicht zu, sodass die ehemalige Praktikantin allenfalls im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidung vorgehen könnte. Ob dies beabsichtigt sei, äußerte sie am Freitag nach der Verhandlung zunächst nicht.
Unklar ist auch, wie es für den Supermarktbetreiber weiter geht. Am 1. April 2014, kurz nach der Berichterstattung über die Entscheidung des ArbG Bochum, hatte die REWE Group erklärt, sich von dem betreffenden Kaufmann zu trennen. Bei dem Unternehmen gebe es keinen Platz für "Verstöße gegen Gesetze und soziale Standards", hatte ein Sprecher damals erklärt. Für eine Stellungnahme, ob diese Entscheidung inzwischen vollzogen sei, und ob man sie im Lichte des LAG-Urteils wieder überdenken werde, war am Freitagmittag bei der REWE Group niemand zu erreichen.
Constantin Baron van Lijnden, LAG Hamm zu unbezahlten Praktika: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13525 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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