GroKo einigt sich auf Kinderrechte ins Grundgesetz: Reicht es für die Zwei­drit­tel­mehr­heit?

von Hasso Suliak

12.01.2021

Nach Monaten des Verhandelns hat sich die GroKo auf eine Formulierung für ein spezielles Kindergrundrecht verständigt. Allerdings: Für eine GG-Änderung braucht es auch zahlreiche Stimmen aus der Opposition. Das könnte schwer werden.

Die Rechte von Kindern sollen nach dem Willen der Regierungskoalition bald ausdrücklich im Grundgesetz (GG) verankert werden. Darauf haben sich Union und SPD nach Angaben von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) geeinigt. "Nach langem Ringen haben wir jetzt eine Formulierung gefunden, die für beide Seiten akzeptabel ist", teilte die SPD-Politikerin am Montagabend mit. Jetzt müssten zügig die nächsten Schritte folgen, damit die Grundgesetzänderung noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden könne.

Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios ist eine Erweiterung von Artikel 6 GG, in dem das Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat geregelt ist, um folgende Formulierung geplant: "Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt."

In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD vereinbart, die Rechte von Kindern ins Grundgesetz aufzunehmen. Entsprechende Pläne Lambrechts hatte die Union aber immerwieder als zu weitgehend abgelehnt. Politiker von CDU und CSU hatten Befürchtungen vor zu starken Eingriffen des Staates in die Familien geäußert. Zuletzt hatten auch Bundestagsjuristen Zweifel in einem Gutachten artikuliert, ob die Formulierungen aus dem BMJV überhaupt den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) entsprechen.

UN: Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen

Die UN-KRK enthält in ihrem Art. 12 umfassende Mitwirkungsrechte für Kinder. Sie sollen zum Beispiel das Recht bekommen, sich in allen sie berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, ihre Meinung soll entsprechend ihres Alters und ihrer Reife angemessen berücksichtigt werden und sie sollen bei allen sie tangierenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört werden. Auch fordert die KRK, dass bei Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt sein müsse. 

Ob diese Vorgabe mit der Formulierung, das Kindeswohl müsse "angemessen" berücksichtigt werden, nunmehr erreicht wird, dürfte zweifelhaft sein. Grüne und Linke hatten bereits deutlich gemacht, dass sie auf starken Formulierungen zu Gunsten der Kinder bestehen. Und um das Grundgesetz zu ändern, braucht es Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat, also auch zumindest teilweise die Zustimmung aus der Opposition.

Kritik der Grünen: "Weniger als nichts"

Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Katja Keul, winkte auf Anfrage von LTO bereits ab. Die Formulierungen, auf die sich Union und SPD geeinigt haben,  seien "weniger als nichts". Keul, zugleich Fachanwältin für Familienrecht, befürchtet sogar, dass im Hinblick auf die Rechtsstellung der Kinder mit der Formulierung "angemessen" auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung  "ein Schritt zurück" drohe.

Um den  Maßgaben der UN-KRK zu entsprechen, hatten die Grünen in ihrem Gesetzentwurf eine Formulierung gewählt, wonach "Wille und zuvörderst Wohl des Kindes" maßgeblich zu berücksichtigen seien. Bei aller Enttäuschung über den Vorschlag der GroKo stellte die Rechtspolitikerin aber auch klar, dass ihre Fraktion offen für Gespräche sei. Allerdings: "Die Justizministerin hat bislang noch nicht das Gespräch mit uns gesucht", so Keul. Die Linke hatte schon vor Monaten signalisiert, dass sie Formulierungen der Art, wie sie jetzt gefunden wurden, nicht mittragen werde.

Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisierte den GroKo-Formulierung, weil sie hinter den Vorgaben der UN-KRK zurück bleibe. Nach Einschätzung des Vorsitzenden des Ausschusses Verfassungsrecht des DAV, Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Mayen, schaffe auch der systematische Standort in Art. 6 Abs. 2 GG "jede Menge neuer Unklarheiten". Und der Hinweis auf die "Erstverantwortung der Eltern" sei überflüssig: "Die Erstverantwortung folgt schon aus dem geltenden Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 GG ('die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht')."

FDP: Nicht in die Erziehung der Eltern einmischen

Einfacher dürfte es für die GroKo werden, die Zustimmung der FDP zu gewinnen. Diese hatte in der Vergangenheit immer davor gewarnt, dass sich der Gesetzgeber nicht zu sehr in die Erziehung der Eltern einmischen dürfe. Mit dem nun gefundenen Passus "Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt" könnten die Liberalen eventuell leben. "Entscheidend ist für uns, dass der nachvollziehbare Wunsch, die Rechte der Kinder zu stärken, nicht zulasten der primären Verantwortung der Eltern für die Kindererziehung geht. Wir werden den Vorschlag, wenn er uns vorliegt, daran prüfen und ggf. eigene Vorschläge einbringen", erklärte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae gegenüber LTO.

Keine Zustimmung ist unterdessen von der AfD im Bundestag zu erwarte. Ihr rechtspolitischer Sprecher, Roman Reusch, sprach davon, dass mit der Änderung "massiv in den grundgesetzlich geschützten Bereich der Familien eingegriffen" werde. Dies sei "ein weiterer Schritt hin zu einer sozialistisch geprägten Gesellschaft, in der die individuelle Freiheit immer weniger Stellenwert habe.

Deutschland mehrfach zur Umsetzung aufgefordert

Der ARD zufolge haben sich Koalitionspolitiker bereits vor Weihnachten auf die neue Formulierung geeinigt. Das BMJV erklärte auf LTO-Anfrage, dass der Gesetzentwurf gegenwärtig noch "finalisiert" werde. Ministerin Lambrecht sagte, sie freue sich, dass sich jetzt auch die Unionsfraktion klar dazu bekenne, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern.

Die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz wird von Kinderschutzverbänden seit Jahren gefordert. Durch die Festschreibung in der Verfassung, so argumentieren die Befürworter, bekämen die Belange von Kindern ein ganz neues Gewicht und müssten immer mitgedacht werden, etwa bei der Gesetzgebung oder ganz praktisch bei der Planung, ob an einem Ort ein Spielplatz oder eine Tankstelle entstehen soll oder ob eine Umgehungsstraße um eine Wohnsiedlung gebaut wird.

Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hatte in seinen Concluding Observations (Abschließende Bemerkungen) anlässlich der Vorlage der deutschen Staatenberichte zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention die Bundesregierung bereits drei Mal (zuletzt 2014) aufgefordert, Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen.

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

GroKo einigt sich auf Kinderrechte ins Grundgesetz: . In: Legal Tribune Online, 12.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43952 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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