Ein Richter und leitender Beamter im niedersächsischen Justizprüfungsamt soll Informationen über bevorstehende Klausuren im zweiten Staatsexamen an Referendare verkauft haben. Nachdem die Staatsanwaltschaft sein Büro durchsuchte, floh er nach Mailand, wo er von italienischen Behörden festgesetzt wurde. Auch gegen die Examenskandidaten wird ermittelt.
Es ist eine unglaubliche Geschichte, und doch kein später Aprilscherz: Jörg L., Richter und leitender Beamter im niedersächsischen Justizprüfungsamt, soll Informationen über bevorstehende Klausuren und Aktenvorträge des zweiten Staatsexamens an Referendare verkauft haben.
Die Staatsanwaltschaft Verden eröffnete auf einen entsprechenden Hinweis des niedersächsischen Justizministeriums hin bereits Anfang des Jahres ein Ermittlungsverfahren. Am vergangenen Mittwoch wurden das Büro des Beschuldigten im Landesjustizprüfungsamt sowie zwei weitere Räumlichkeiten durchsucht. Als L. am Folgetag festgenommen werden sollte, stellten die Behörden fest, dass er das Land verlassen hatte und nach Italien geflohen war. Auf Grundlage eines europäischen Haftbefehls setzte die italienische Polizei ihn in der Nacht von Sonntag auf Montag in einem Hotelzimmer in Mailand fest. Dabei soll er sich nach einem Bericht der italienischen Repubblica in Begleitung einer 26-jährigen Rumänin befunden und eine geladene Pistole sowie 30.000 Euro in bar bei sich geführt haben.
Nähe zu Musterlösungen und Notensprünge weckten den Verdacht der Behörden
Derzeit befindet L. sich in italienischer Haft. Wie schnell er von dort nach Deutschland gelangen wird, hängt auch von seiner Kooperation ab. Erklärt er sich mit einer Auslieferung einverstanden, kann diese in der Regel binnen ein bis zwei Wochen durchgeführt werden; widerspricht er, kann das Verfahren einen Monat oder länger dauern.
In Deutschland steht dem Beamten nach Ende der Ermittlungen mutmaßlich eine Anklage wegen eines besonders schweren Falls der Bestechlichkeit (§§ 332, 335 Strafgesetzbuch) bevor. Ob auch die italienischen Strafverfolgungsbehörden wegen des Waffenbesitzes Anklage erheben werden, ist noch unklar.
L. war seit 2011 in leitender Funktion an das niedersächsische Landesjustizprüfungsamt abgeordnet. Nach Auskunft des Justizministeriums kam der Verdacht gegen ihn durch eine Mehrzahl von Umständen zustande. So hätten einige Klausuren eine auffällige Nähe zu den Musterlösungen aufgewiesen, welche den Korrektoren ausgehändigt wurden. Auch seien die Noten einiger Referendare drastisch besser ausgefallen, als ihre vormaligen Prüfungsergebnisse es erwarten ließen. Zudem habe es persönliche Hinweise gegeben.
Ermittlungen laufen auch gegen Prüflinge
Mit dem Bekanntwerden der Vorwürfe zog man schnell auch personelle Konsequenzen. Das niedersächsische Justizministerium erteilte L. ein Hausverbot und beantragte zudem seine vorläufige Entfernung aus dem Richteramt, die vom Hannoveraner Richterdienstgericht in einem Eilverfahren binnen zweier Tage bestätigt wurde. "Völlig unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung, die noch aussteht, sahen wir es aufgrund der Schwere der Vorwürfe und der Stärke der vorliegenden Indizien als unumgänglich an, den Herrn einstweilen seines Amtes entheben zu lassen", äußerte ein Sprecher des Ministeriums gegenüber LTO.
Doch nicht nur für den Richter selbst, sondern auch für seine Kundschaft wird die Sache ein rechtliches Nachspiel haben. Die Staatsanwaltschaft Verde ermittelt derzeit gegen mehrere ehemalige Rechtsreferendare, die im Verdacht stehen, Informationen über Klausuren oder Aktenvorträge eingekauft zu haben.
Über die Anzahl der betroffenen Prüflinge wollte die Behörde mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen keine Auskunft geben, ebenso wenig über die Summen, die geflossen sind. Den Jungjuristen droht neben einer Aberkennung ihrer Examina und einer Sperre für die Zukunft eine Anklage wegen Bestechung nach § 334 Strafgesetzbuch.
Constantin Baron van Lijnden, Justizskandal in Niedersachsen: . In: Legal Tribune Online, 02.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11525 (abgerufen am: 04.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag