Der israelische Supreme Court verhandelt erstmals über das Gesetz, mit dem die Befugnisse der Justiz beschränkt werden sollen. Es geht um grundsätzliche Fragen der Gewaltenteilung.
Israels Oberstes Gericht hat mit Spannung erwartete Beratungen über einen höchst umstrittenen Justizumbau der rechtsgerichteten Regierung begonnen. Am Dienstag kamen erstmals in der Geschichte des Landes alle 15 Richterinnen und Richter zusammen, um über acht Petitionen gegen eine jüngst verabschiedete Grundgesetzänderung zu beraten. Mit einer Entscheidung ist wohl erst in einigen Wochen oder Monaten zu rechnen.
Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte Ende Juli die Änderung verabschiedet, die dem Obersten Gericht die Möglichkeit nimmt, gegen "unangemessene" Entscheidungen der Regierung, des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister
vorzugehen. Sie ist Teil eines umfassenden Gesetzesvorhabens zur Schwächung der Justiz.
Spätestens seit Jahresbeginn sorgen die Pläne in weiten Teilen der israelischen Gesellschaft immer wieder für intensive Diskussionen und massenhafte Proteste. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, aber auch Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen beteiligen sich an diesem Diskurs. Auch der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, ist bei der Verhandlung in der israelischen Hauptstadt Jerusalem anwesend, er sagte in einem Video auf dem Netzwerk X, als Freunde Israels schaue man heute auf den Supreme Court, dort geschehe etwas wichtiges für die israelische Demokratie.
"Demokratien sterben in kleinen Schritten"*
Am Vorabend der Verhandlung hatte es erneut Proteste gegeben, an denen sich Zehntausende Menschen beteiligten. Kritiker stufen die Pläne der Netanyahu-Regierung als Gefahr für die Gewaltenteilung und damit Israels Demokratie ein. Die Regierung argumentiert wiederum, das Gericht sei in Israel zu mächtig, mische sich zu stark in politische Fragen ein und missachte damit seinerseits die Gewaltenteilung.
In der Verhandlung trat für die Netanyahu-Regierung auch der Vorsitzende des Justizausschusses der Knesset, Simcha Rothman, auf. Dabei kam es zur direkten Diskussion mit Gerichtspräsidentin Esther Hayut. Rothman meint, die Richterinnen und Richter des Supreme Courts seien "privilegierte Eliten", die den Willen des Volkes missachten würden. Auf Hayuts Frage, welche Möglichkeiten die Öffentlichkeit zur Überprüfung von Regierungs- und Verwaltungshandeln haben solle, betonte Rothman, dies sollte in der Knesset diskutiert werden.
Rothman fasste die Position der Befürworter im Kern mit einer rhetorischen Frage zusammen: "Mit welcher Berechtigung nimmt man dem Staat Israel seine grundlegendste Eigenschaft als demokratischer Staat - die freien Wahlen und die Fähigkeit der Öffentlichkeit, die Gesetze zu ändern, die ihr Leben bestimmen?". Wiederum betonte Richter Yitzhak Amit, der im Herbst auf die aufgrund dem Erreichen der Altersgrenze scheidende Präsidentin Hayut folgen könnte, dass Demokratien nicht auf einmal, sondern in kleinen Schritten sterben würden. Daher müsste die Judikative nicht geschwächt, sondern eher noch gestärkt werden, so Amit.*
In Israels Geschichte wurde bisher noch nie ein Grundgesetz oder eine Änderung eines Grundgesetzes aufgehoben. Hayut betonte in der Verhandlung am Dienstag, wie hoch die Hürden hierfür seien. Sollte dies nun geschehen und die Regierung die Entscheidung gleichwohl nicht akzeptieren, droht dem Land eine Staatskrise. Anfang August äußerte der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung, Rechtsanwalt Elmar Esser, bei LTO, dass die Netanyahu-Koalition entschlossen sei, den Supreme Court "mit allen Mitteln zu entmachten".
Der israelische Supreme Court überträgt seine Verhandlung live unter anderem bei YouTube.
jb/LTO-Redaktion mit Materialien der dpa
* Anm. d. Red.: Ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 16:12 Uhr
Umstrittene Pläne der Netanyahu-Regierung: . In: Legal Tribune Online, 12.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52687 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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