Die neue Regierung von Netanjahu steht – mit Rechtsextremen am Kabinettstisch. Geplant sind tiefgreifende politische Veränderungen, u.a. eine massive Schwächung des Justizsystems. Dafür steht auch der neue Justizminister des Landes Levin.
Knapp zwei Monate nach der Wahl hat das Parlament in Israel die Regierung des Siegers Benjamin Netanjahu gebilligt, er selbst ist auch bereits vereidigt. 63 von 120 Abgeordneten stimmten am Donnerstag bei einer Vertrauensabstimmung für die neue Regierung. Es ist die am weitesten rechtsstehende Regierung, die Israel je hatte. Auch rechtsextreme Politiker sind in der Koalition vertreten.
Der frühere Langzeit-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist nach anderthalb Jahren zurück an der Macht. In Israels Geschichte war niemand länger im Amt als der 73-Jährige. Es ist bereits die sechste Regierung, die er bildet.
Begleitet von wütenden Zwischenrufen der Opposition stellte Netanjahu im Plenum die wichtigsten Ziele für die kommenden vier Jahre vor. Man werde alles tun, "damit der Iran uns nicht mit einer Atombombe zerstört". Seine Regierung werde sich für Annäherungsabkommen mit weiteren arabischen Staaten einsetzen. Netanjahu warf der Opposition vor, sie wolle das Wahlergebnis nicht akzeptieren und stattdessen das Volk gegen seine Regierung aufhetzen.
Die neue Regierung verfügt über 64 von 120 Sitzen im Parlament. Die Hälfte davon gehört zu Netanjahus Likud, die andere Hälfte zu dem rechtsextremen Religiös-Zionistischen Bündnis sowie zwei strengreligiösen Parteien. Die Koalition will tiefgreifende politische Veränderungen durchsetzen und das Justizsystem gezielt schwächen. Die Änderungen könnten laut Experten auch eine Aufhebung des aktuell laufenden Korruptionsprozesses gegen Netanjahu bewirken.
Mit Überwindungsklausel missliebige Urteile kippen
Im Ergebnis würde eine von der neuen Regierung anvisierte Justizreform wohl ein stückweit das Ende der Gewaltenteilung in Israel bedeuten. Geplant ist schließlich die Einführung einer sog. Überwindungsklausel. Eine Mehrheit im Parlament könnte damit ein Gesetz verabschieden, auch wenn es nach Ansicht des Höchsten Gerichts gegen ein Grundgesetz verstößt. Israel verfügt bis heute eigentlich über keine geschriebene Verfassung. Neben der Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1948 kommt allerdings diversen "Grundgesetzen" ("Basic Laws") eine wesentliche Rolle im Rechtssystem des Staates zu.
"Wir Experten haben Angst, dass dies Politikern absolute Macht verleihen wird», sagte Juraprofessor Janiv Roznai von der Reichman-Universität bei Tel Aviv. Dan Meridor, Ex-Justizminister des Likud, sprach von einem "nie dagewesenen, sehr gefährlichen Vorhaben" der neuen Regierung. Korruption und Rassismus würden legitimiert. "Israel ist dabei, Gleichgewicht und Hemmungen zu verlieren."
Auch der ehemalige Grünen-Politiker und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Volker Beck zeigte sich gegenüber LTO besorgt: "Die Pläne, Entscheidungen des Supreme Court mit einfacher Knesset-Mehrheit außer Kraft zu setzen, sehe ich mit großer Sorge. Dies ist ein Angriff auf die strikte Gewaltenteilung und die Suprematie des Rechts über die Politik, wie sie den israelischen Staat fast 75 Jahre geprägt haben. Davor kann ich nur warnen."
Beck, viele Jahre auch für die Rechtspolitik im Bundestag zuständig, erinnerte allerdings auch daran, dass vergleichbare Pläne zeitweise auch in der Bundesrepublik diskutiert worden seien: "Forderungen die Rechte der Verfassungsrichter einzuschränken, gab es im letzten Jahrzehnt auch in Deutschland. Entsprechende Forderungen waren aus der CDU vor allem nach wiederholten Urteilen des Gerichts gegen die Diskriminierung homosexueller Paare laut geworden. Gut, dass dem niemand gefolgt ist", so Beck.
Neuer Justizminister treibt Vorhaben voran
Israels rechter Flügel versucht seit Jahren, das Justizsystem einzuschränken, weil es ihn als interventionistisches und linksgerichtetes Hindernis für seine gesetzgeberische Agenda darstellt.
Für die nun beabsichtigte Schwächung des Systems steht ausgerechnet ein gelernter Rechtsanwalt, und zwar der neue Justizminister des Landes Yariv Levin. Der Zeitung The Times of Israel zufolge gilt der 53-jährige Likud-Politiker als entschiedener Befürworter der Reform. Er soll auch einen großen Spielraum gefordert haben, um eine umfassende Überarbeitung der Ernennungen von Richtern zu erreichen. Denn: Die neue Regierung hat sich fest dazu verabredet, die "Herrschaft der Richter" zu beenden.
Levins Reformen würden auf eine Abschaffung des derzeitigen Richterwahlausschusses hinauslaufen, in dem gewählte Vertreter die Verantwortung für die Ernennung der 15 Richter des Obersten Gerichtshofs mit hochrangigen Vertretern der Justiz und Juristen teilen. Stattdessen würde die Regierung Kandidaten nominieren, die dann von der Knesset bestätigt würden.
Laut The Times of Israel hat Levin auch vorgeschlagen, das Rentenalter für Richter des Obersten Gerichtshofs von 70 auf 67 Jahre zu senken. Sollte dieser Vorschlag umgesetzt werden, müssten vier der 15 amtierenden Richter zurücktreten, darunter die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Esther Hayut, 69, sowie Uzi Vogelman, 68, Yosef Elron, 67, und Anat Baron, 69. Wenn beide Anträge angenommen werden, kann die Regierung diese vier Plätze am Gericht mit Richtern nach ihrem Geschmack besetzen.
Folgen für Korruptionsprozess gegen Netanjahu?
Levin wird zudem das Justizsystem bei der Bearbeitung des laufenden Korruptionsprozesses gegen Netanjahu beaufsichtigen, der seit 2020 läuft. Einem Bericht der Jerusalem Post zufolge forderte der Sohn Netanjahus, Jair Netanjahu, vergangenen Sonntag, die für den Korruptionsprozess seines Vaters verantwortlichen Beamten in Staatsanwaltschaft und Polizei wegen Hochverrats vor Gericht zu stellen. Jair Netanjahu bekleidet zwar kein offizielles Amt in Israels Regierung, gilt aber als einflussreicher Vertrauter seines Vaters.
Unterdessen sprach sich der neue Justizminister dafür aus, jedenfalls die Definition des Straftatbestands "Betrug und Untreue" zu verschärfen, der im Mittelpunkt des Prozesses gegen den Likud-Chef steht und nach Meinung von Kritikern zu vage definiert ist. So wie der Tatbestand jetzt formuliert sei, könne er alles umfassen, von der Nichtmeldung eines teuren Essens bis hin zum Ausnutzen der eigenen Position, um für einen Freund die Fäden zu ziehen.
Ehemaliger Anwaltskammer-Vorsitzender
Als ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der israelischen Anwaltskammer engagiert sich Levin seit seinem Eintritt in die Knesset im Jahr 2009 für rechtspolitische Reformen. Als Patensohn des Likud-Gründers Menachem Begin stieg sein Stern in der Politik schnell auf, und er diente bereits dreimal als Minister. So war er 2015 Minister für Öffentliche Sicherheit, von 2015 bis 2020 Minister für Tourismus und von 2018 bis 2019 geschäftsführender Einwandererminister.
In den vergangenen Wochen fungierte Levin vorübergehend als Sprecher der Knesset, um die von den Likud-Koalitionspartnern gewünschte Gesetzgebung zu begleiten und die Ministerposten neu zu besetzen, bevor die Regierung vereidigt wird.
Die Justizreform wurde vom Generalstaatsanwalt, von führenden Vertretern der Opposition und von Wissenschaftlern als Gefahr für die Demokratie kritisiert, da sie als einzige Möglichkeit gesehen wird, den potenziellen Exzess einer Regierungsmehrheit zu bremsen und als letztes Mittel die Rechte von Minderheiten zu schützen.
Seitdem das oberste Gericht 1995 sein eigenes Recht auf eine substanzielle gerichtliche Überprüfung eingeführt hat, hat es 22 Gesetze gekippt.
Mit Material von dpa
Geplante Justizreform in Israel: . In: Legal Tribune Online, 30.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50617 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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