Heute vor 20 Jahren nahm der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag seine Arbeit auf. Trotz anhaltender Kritik ist seitdem viel passiert und die Rolle des IStGH ist ob des russischen Angriffskrieges aktueller denn je.
Einen Tag nach dem Inkrafttreten des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB) nahm am 1. Juli 2022 vor 20 Jahren auf Grundlage des Römischen Statuts auch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) seine Arbeit auf. 60 Staaten ratifizierten damals das Römische Statut, mittlerweile sind es 123 Staaten. Doch darin liegt schon eine der maßgeblichen Schwachstellen des IStGH: Weder die USA noch Russland und auch China, Indien, Israel und Äthopien zählen nicht zu den heutigen Vertragsstaaten.
Seit dem 1. Juli 2002 urteilt der IStGH über die sogenannten "core crimes": Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, oftmals auch als "crime of crimes" bezeichnet. Seit nunmehr vier Jahren zählt auch das Verbrechen der Aggression zur Jurisdiktion des IStGH, nachdem dieses bereits 2010 im Zuge der Kampala-Konferenz in das Römische Statut aufgenommen worden war.
IStGH-Präsident Piotr Hofmański findet anlässlich des Jubiläums lobende Worte: "Am 20. Jahrestag des ICC können wir die Tatsache feiern, dass es ein permanentes und unabhängiges Gericht gibt, welches sich dem Kampf gegen die Straflosigkeit von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und dem Verbrechen der Aggression widmet."
Zu den 16 Richterinnen und Richtern gehörten bzw. gehören auch zwei deutsche Richter: zunächst von 2003 bis 2014 Dr. h.c. Hans-Peter Kaul, der als Diplomat zuvor maßgeblich an der Ausarbeitung des Römischen Statuts mitgewirkt hatte. Am IStGH war er in der Vorverfahrensabteilung (pre-trial Chamber) tätig und zudem auch drei Jahre zweiter Vizepräsident des Gerichts. Seit 2015 arbeitet Prof. Dr. Bertram Schmitt in der Hauptverfahrensabteilung des IStGH. Schmitt, der eigentlich dem 2. Strafsenat beim Bundesgerichtshof angehört, ist in der Rechtswissenschaft insbesondere durch seine Kommentierung der Strafprozessordnung bekannt.
Erstes Urteil im März 2012
Der IStGH existiert parallel zu mehreren internationalen ad-hoc Strafgerichten, wie beispielsweise dem Sondertribunal für die in Jugoslawien begangenen Verbrechen (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) oder solcher in Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR). Auch agiert die deutsche Justiz aufgrund des Weltrechtsprinzips parallel zum IStGH und hat auf Grundlage des VStGB besonders in jüngster Vergangenheit mehrere Urteile gesprochen, wobei der Fokus hier derzeit auf der Region Syrien/Irak liegt. So verurteilte beispielsweise das Oberlandesgericht Koblenz zu Beginn dieses Jahres im nach Angaben der Bundesanwaltschaft weltweit ersten Strafprozess um Staatsfolter in Syrien einen Ex-Offizier zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Er hat in der Anfangsphase des syrischen Bürgerkrieges Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.
Vor dem ICTY hatte es unter anderem einen Prozess gegen den ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević gegeben, welcher international enormes Aufsehen erregte.
Sein erstes Urteil fällte der IStGH am 14. März 2012. Der ehemalige Präsident der Demokratischen Republik (DR) Kongo, Thomas Lubanga, wurde zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er wurde unter anderem wegen der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindersoldaten schuldig gesprochen. Die Haftstrafe wird nunmehr durch die DR Kongo vollstreckt.
Ahmad al-Faqi al-Mahdi aus Mali wurde 2016 schuldig gesprochen, in Timbuktu mehrere Mausoleen und eine Moschee zerstört zu haben und wurde deshalb wegen Kriegsverbrechen zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Damit wurde zum ersten Mal überhaupt ein Dschihadist wegen der Zerstörung von Kulturgut verurteilt.
Ermittlungen wegen Verbrechen in Israel, Palästina und der Ukraine
Ende 2019 kündigte Fatou Bensouda, die damalige IStGH-Chefanklägerin, eine Ermittlung für Verbrechen in Israel und in "Palästina" an. Das sorgte schon im Vorfeld für heftige internationale Reaktionen, da es auch um die Staatlichkeit der palästinensischen Gebiete, insbesondere des Gazastreifens und von Gebieten in Judäa und Samaria, geht. Die israelische Regierung wehrt sich dabei ihrerseits schon gegen die Ermittlungsbefugnis des IStGH. Im Raum steht der Vorwurf von Kriegsverbrechen gegen Israel, insbesondere durch die Hamas. Die weiteren Entwicklungen werden hier abzuwarten sein.
Im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, Ermittlungen gegen Russland insbesondere wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet. Auch eine Verurteilung des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, ist dabei grundsätzlich möglich.
Anlässlich des 20. Jahrestages bekräftigte das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) nochmals seine Zustimmung zum Schritt des Chefanklägers, die Ermittlungen aufzunehmen. Es seien ferner alle Staaten zur Unterstützung des Chefanklägers bei der Sammlung von Beweiesen aufgerufen, so Beate Rudolf, Direktorin des DIMR.
Ein neokolonialer Gerichtshof?
Immer wieder sieht sich der IStGH auch diverser Kritik ausgesetzt. Insbesondere wird der Vorwurf erhoben, es bestehe ein zum Rassismus tendierender "neokolionaler" Fokus auf afrikanische Staaten. Dem tritt der deutsche Richter Schmitt gegenüber LTO entschieden entgegen und betont, dass es kaum eine internationale Organisation gebe, bei der afrikanische Menschen so machtvoll seien, wie beim IStGH. Ein weiterer immer wieder angebrachter Kritikpunkt ist trotz des beispiellos hohen Aufwands der Verfahren, dass das Gericht insgesamt zu ineffektiv und zu langsam arbeite.
IStGH-Präsident Hofmański ermutigt anlässlich des 20-jährigen Jubiläums nochmals alle Staaten, sich der Jurisdiktion des ICC anzuschließen, "um Opfern überall Zugang zu Gerichtigkeit zu geben und dabei zu helfen, die Menschheit vor Gräueltaten zu beschützen".
Aus Sicht des DIMR war die Schaffung des ICC ein "Meilenstein für den Schutz der Menschenrechte", erklärt Beate Rudolf.
20-jähriges Jubiläum des IStGH: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48913 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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