Im Familiengeldkrach zwischen München und Berlin droht Chaos: Die Staatsregierung weist die zuständige Landesbehörde ausdrücklich an, den Bund zu ignorieren. Das hat es noch nie gegeben.
Der Streit der Staatsregierung mit dem Bund um das bayerische Familiengeld hat eine neue Eskalationsstufe erreicht: Das Sozialministerium in München hat die zuständige Landesbehörde in einem Brief ausdrücklich angewiesen, die Rechtsmeinung des Bundes zu ignorieren.
Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) beharrt derweil auf dem Standpunkt des Bundes. Das Familiengeld müsse nach geltender Rechtslage angerechnet werden, wenn es um Personen gehe, die Leistungen der Grundsicherung beziehen, sagte Heil dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wir können uns als Bundesregierung nicht über Recht und Gesetz hinwegsetzen."
Das Zentrum Bayern Familie und Soziales in Bayreuth soll nach dem Willen der Freistaatsregierung das Familiengeld trotzdem in jedem Fall auch an Hartz-IV-Empfänger auszahlen - sogar dann, wenn die Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit auf die in der Folge drohende Kürzung der Sozialhilfe hinweisen. Diese Kürzung will die Staatsregierung nicht akzeptieren: "Familiengeld wird auch dann an die Antragsteller ausgezahlt, wenn Rechtswahrungsanzeigen der Jobcenter gestellt werden", heißt es in dem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Der rechtliche Hintergrund: Die CSU-Staatsregierung will sämtlichen Eltern kleiner Kinder im ersten und zweiten Lebensjahr 250 Euro pro Monat und Kind zahlen, auch Sozialhilfeempfängern. Nach dem Sozialgesetzbuch II müssen die Behörden zusätzliches Einkommen aber mit Hartz-IV-Zahlungen verrechnen. Dies soll verhindern, dass die Empfänger Sozialleistungen beliebig addieren können. Dies sei der bayerischen Staatsregierung bekannt gewesen, sagte Heil. "Herr Söder und seine Leute haben sich sehenden Auges in diese Situation hineinmanövriert."
Zwei Klassen von bayerischen Hartz-IV-Empfängern?
Die Staatsregierung beruft sich dabei auf zwei Ausnahmeregeln: So müssten Leistungen der Länder nicht angerechnet werden, die dem Erziehungsgeld ähneln, argumentiert das Landessozialministerium in einem zweiten Schreiben, das unter anderem an die Kommunen, die Bundesagentur und das Bundessozialministerium ging. Und außerdem müssten zusätzliche Leistungen nicht auf Hartz IV angerechnet werden, wenn diese "ausdrücklich einem anderen Zweck als der Grundsicherung dienen", wie es ebenfalls in diesem zweiten Brief heißt.
Die Folge des Streits könnte rechtliches Chaos und eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei bayerischen Hartz-IV-Empfängern sein. Denn für die Auszahlung des bayerischen Familiengelds zuständig ist die Bayreuther Landesbehörde. Hartz IV wird dagegen von den Jobcentern ausgezahlt, doch gibt es zwei Arten von Jobcentern: 83 sogenannte gemeinsame Einrichtungen von Arbeitsagentur und Kommunen stehen weitgehend unter Aufsicht des Bundessozialministeriums.
Daneben gibt es die Jobcenter in zehn sogenannten Optionskommunen, die die Sozialhilfe ohne Kooperation mit der Bundesagentur allein verwalten und von der Staatsregierung beaufsichtigt werden. Diese zehn Optionskommunen sind die Städte Ingolstadt, Schweinfurt, Erlangen und Kaufbeuren sowie die Landkreise Würzburg, Ansbach, München, Miesbach, Günzburg und Oberallgäu.
Bundesministerium: Rückforderungen drohen
Damit steht die Möglichkeit im Raum, dass das Recht in ein und demselben Bundesland unterschiedlich angewandt wird: Die zehn Optionskommunen würden das Familiengeld nach Weisung des bayerischen Sozialministeriums in München voraussichtlich nicht auf Hartz IV anrechnen während Für die vom Bundesministerium beaufsichtigten gemeinsamen Einrichtungen die Berliner Rechtsmeinung verbindlich ist. Eine offizielle Stellungnahme dazu gab es zunächst aber weder vom bayerischen Landes- noch vom Berliner Bundesministerium.
Das Bundesministerium hatte aber bereits vergangenen Freitag angedeutet, dass Hartz-IV-Empfängern in Bayern Rückforderungen drohen, wenn das Familiengeld nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird: "Es wäre nicht erträglich, wenn diese darauf vertrauten, dass sie ab dem 1. September 2018 zusätzliches Geld zur Verfügung hätten, und das Geld dann nach Recht und Gesetz später wieder zurückgeben müssten", hieß es in der Stellungnahme des Ministeriums.
In Berlin wird unter der Hand auch darauf hingewiesen, dass die CSU bereits bei den Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD gefordert habe, dass Familienleistungen nicht auf Hartz IV angerechnet werden sollten. Damit habe sie sich aber nicht durchsetzen können.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Streit ums Familiengeld: . In: Legal Tribune Online, 15.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30355 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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