Verdacht der Beteiligung an krimineller Vereinigung, Geldwäsche und Abgeordnetenbestechung: Die belgische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Das Ansehen des gesamten Parlaments steht auf dem Spiel.
Durch einen der größten Korruptionsskandale in seiner Geschichte droht das Europaparlament schwer in Misskredit zu geraten. Vizepräsidentin Eva Kaili soll Geld aus dem Golfstaat Katar kassiert haben, damit sie für das WM-Gastgeberland Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. Die Sozialdemokratin aus Griechenland wurde zusammen mit fünf anderen Verdächtigen festgenommen. Vier davon kamen am Sonntag per Haftbefehl in Untersuchungshaft - darunter nach Medienberichten auch die 44-jährige Parlamentsvize. Viele andere Europa-Abgeordnete, auch aus Deutschland, sorgen sich nun um den Ruf.
Verdacht der Korruption, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche
Während die belgische Bundesstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Korruption, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche ermittelt, wurden bereits politischen Konsequenzen gezogen.
Kaili wurde von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Wochenende von all ihren Aufgaben entbunden. Bislang war sie eine von insgesamt 14 Stellvertretern. Formell muss die Entscheidung vom Parlament noch bestätigt werden. Die sozialdemokratische Fraktion - zu der auch die SPD-Abgeordneten gehören - suspendierte bereits ihre Mitgliedschaft. Ihre Partei schloss sie aus. Wie griechische Medien am Montag übereinstimmend berichteten,veranlasste der Chef der nationalen Anti-Geldwäsche-Behörde, Charalambos Vourliotis, das Einfrieren von Kailis Vermögenswerten wegen der Ermittlungen. Gleiches gilt demnach für ihre Eltern, ihre Schwester sowie ihren Lebenspartner, der ebenfalls festgenommen wurde. Untersucht würden Konten, Immobilienbesitz,Unternehmensbeteiligungen und ähnliche Vermögenswerte.
Seit mehreren Monaten verdächtigen belgische Ermittler nach Angaben der Staatsanwaltschaft einen Golfstaat, "die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen des Europäischen Parlaments zu beeinflussen". Dazu sollen hohe Geldsummen gezahlt oder teure Geschenke an Entscheidungsträger im Parlament gemacht worden sein. Aus Ermittlerkreisen wurde der Deutschen-Presse-Agentur bestätigt, dass es sich bei dem Golfstaat um Katar handelt. Bei den Durchsuchungen in Brüssel wurden am Freitag insgesamt 600 000 Euro Bargeld und Handys beschlagnahmt. In Kailis Wohnung fanden Ermittler Taschen voller Bargeld, laut AFP 160.000 Euro.
Die Zeitung "Le Soir" schrieb, die 44-Jährige sei auf frischer Tat – "in flagranti" - erwischt worden. Aufgrund der Tatfrische stand der Festnahme nicht einmal ihre parlamentarische Immunität entgegen. Nachdem sie von ihren Aufgaben entbunden wurde, kann nur das Parlament selbst ihre förmliche Absetzung beschließen. Das könnte bereits während der an diesem Montag beginnenden Plenarwoche in Straßburg erfolgen.
Braucht es eine grundlegende Reform der Antikorruptionsvorschriften?
In- und außerhalb des Parlaments ist man sich einig, dass der Vorfall der restlosen Aufklärung bedürfe. So fordert Bundesaußenministerin Annalena Baerbock die Aufklärung mit der "vollen Härte des Gesetzes".
Der Verlust an Glaubwürdigkeit und Vertrauen träfe gerade das Europäische Parlament besonders empfindlich. Das Parlament mit mehr als 700 Abgeordneten positioniert sich nämlich gern als starke Stimme im Kampf gegen Korruption. So fordern die Abgeordneten wegen weit verbreiteter Korruption in Ungarn regelmäßig ein hartes Vorgehen gegen das EU-Land.
Die Geschehnisse geben offenbar Anlass für eine grundlegendere Diskussion über Anti-Korruptionsmaßnahmen im Europäischen Parlament. So fordert Prof. Alberto Alemanno (Jean Monnet Professor of EU Law an der HEC Paris) unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe, es müsse eine unabhängige Ethikkommission zur Untersuchung derartiger Vorfälle eingerichtet werden. Außerdem sei erforderlich, die Offenlegungspflichten für EU-Abgeordnete auszudehnen und Transparenzpflichten auf Lobbyorganisationen auch auf Drittländern auszudehnen. Schließlich müssten auch ein Regelwerk für ehemalige Abgeordnete her.
Kaili bezog zuletzt deutlich für Katar Stellung
Aber haben Kaili und die anderen Verdächtigen tatsächlich auf illegale Weise die Interessen Katars vertreten? Kaili zumindest fiel zuletzt mit einer eher ungewöhnlichen Haltung auf. Als das Parlament im November über eine Resolution diskutierte, die die WM in Katar kritisieren sollte, attestierte die Ex-Journalistin dem Land, Vorreiter in Sachen Arbeitsrecht zu sein. Die WM sei Beweis dafür, "dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben". Zudem beklagte sie, dass jeder, der mit Katarern spreche, der Korruption verdächtigt werde. Der WM-Gastgeber steht seit Jahren wegen der Menschenrechtslage und der Bedingungen für ausländische Arbeiter in der Kritik. Zahlreiche Mitglieder des damaligen FIFA-Exekutivkomitees, das 2010 die WM nach Katar vergeben hatte, sind inzwischen der Korruption überführt. Katar selbst hat den Vorwurf der Bestechung jedoch stets bestritten. Der Innenausschuss des Europaparlaments wiederum stimmte Anfang Dezember dafür, die Visa-Regeln für Katar und andere Länder zu erleichtern. Obwohl Kaili selbst kein Mitglied im Ausschuss ist, stimmte auch sie ab - zur Überraschung der eigenen Fraktion. Nach Parlamentsregeln ist es zwar möglich, dass Abgeordnete bei Abstimmungen auch durch Nicht-Mitglieder ersetzt werden. SPD-Parlamentsvize Katarina Barley sagte ZDF-heute jedoch: "Sie (Kaili) hat sich ganz nach hinten gesetzt, wo normalerweise nur Mitarbeitende sitzen - weit weg von unserer Fraktion. Man könnte auch sagen: Sie hat sich versteckt." Das letzte Wort bei der Visa-Liberalisierung ist allerdings noch nicht gesprochen. Das Parlament muss darüber noch mit den EU-Staaten verhandeln. Der Grünen-Abgeordnete Erik Marquardt, der für das Thema im Parlament zuständig ist, stellte bereits klar, in der aktuellen Situation könne es keine Visa-Liberalisierung geben.
dpa/lom/LTO-Redaktion
Korruptions-Verdacht im Europäischen Parlament: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50445 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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