Nach dem umstrittenen Urteil des polnischen Verfassungsgerichts erhöht das EU-Parlament den Druck auf die Kommission, endlich den EU-Rechtsstaatsmechanismus in Gang zu setzen. Jetzt steht auch eine Untätigkeitsklage im Raum.
Der Rechtsausschuss im Europaparlament hat sich für eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission ausgesprochen. Grund dafür ist, dass die Kommission eine neue Regelung zur Ahndung von Rechtsstaatverstößen in EU-Staaten bislang nicht angewendet hat. 13 Abgeordnete stimmten am Donnerstag dafür, drei dagegen und sechs enthielten sich.
Der EU-Rechtsstaatsmechanismus ist seit Anfang des Jahres in Kraft. Er sieht vor, dass EU-Ländern Mittel aus dem gemeinsamen Haushalt gekürzt werden können, wenn wegen Rechtsstaatsverstößen ein Missbrauch des Geldes droht. Die Regierungen in Ungarn und Polen befürchten, dass das neue Verfahren vor allem gegen sie eingesetzt werden soll. Sie haben deshalb Klage gegen die Verordnung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht - das Verfahren läuft noch. Die EU-Kommission wollte eigentlich erst tätig werden, wenn der EuGH über die Klagen von Ungarn und Polen entschieden hat.
"Während die Kommission hadert, drückt das Parlament auf die Tube", sagte der zuständige Berichterstatter im Ausschuss, Sergey Lagodinsky (Grüne). "Die Einschränkung von Grundrechten und Unabhängigkeit der Justiz durch Regierungen in Ungarn oder Polen sind eine ernste Gefahr für die Bürger dieser Länder, aber auch für die Aufsicht über EU-Gelder, die diesen Regierungen zuteil werden." Genau dafür sei der Rechtsstaatmechanismus geschaffen worden, so Lagodinsky.
Nun ist Parlamentspräsident David Sassoli am Zug. Er müsste die Klage beim EuGH einreichen. Zuvor könnte er kommende Woche noch einmal das Parlamentsplenum darüber abstimmen lassen. Das Parlament hat bis zum 2. November Zeit, die Klage gegen die EU-Kommission beim EuGH anzustrengen.
"Von der Leyen muss ihrer Verantwortung als Hüterin der Verträge gerecht werden"
"Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist jetzt in der Pflicht, endlich ihrer Verantwortung als Hüterin der EU-Verträge gerecht zu werden", sagte der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken. "Sie darf nicht mehr weiter untätig zuzusehen, wie beispielsweise die Unabhängigkeit der Justiz in Polen abgeschafft wird." Die EU-Kommission unter Präsidentin von der Leyen betonte bisher stets, die Vorbereitungen für Verfahren nach dem Mechanismus liefen und kein Fall werde verloren gehen. Zuletzt schien jedoch nicht mehr ausgeschlossen, dass sie schon vor einem EuGH-Urteil etwaige Verfahren einleiten könnte.
Der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund sieht in der Klage eine "letzte Warnung" an von der Leyen. "Wir haben kein Interesse daran, uns in einem Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof zu verhaken, während in Ungarn Korruption floriert und in Polen die Gewaltenteilung zerlegt wird". Es brauche endlich finanzielle Konsequenzen für Warschau und Budapest, so Freund.
Auch der FDP-Abgeordnete Moritz Körner drängt auf rasches Handeln: "Von der Leyens Untätigkeit ist gefährlich für den polnischen und für den europäischen Rechtsstaat." Deshalb sei das EU-Parlament gezwungen, sie zum Handeln zu bewegen. "Wer nichts unternimmt, macht sich mitschuldig an der Zersetzung der europäischen Rechtsgemeinschaft".
dpa/jb/LTO-Redaktion
Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn: . In: Legal Tribune Online, 15.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46369 (abgerufen am: 12.11.2024 )
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