Vor etwas mehr als einem Monat wurde das Rettungsschiff "Sea-Watch 4" im Hafen von Palermo festgesetzt. Nun entschied der EuGH, dass Rettungsschiffe nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr überpüft und festgehalten werden dürfen.
Am Montag entschied der EuGH, dass Schiffe humanitärer Organisation, die zur Suche und Rettung von Personen auf See eingesetzt werden, vom Hafenstaat einer Kontrolle unterzogen werden können (C-14/21 und C-15/21). Festhaltemaßnahmen könne der Hafenstaat jedoch nur im Fall einer eindeutigen Gefahr für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt treffen, so der EuGH. Ob eine solche Gefahr vorliegt, muss nun das zuständige Verwaltungsgericht in Palermo beurteilen.
Nachdem bereits die Sea-Watch 3 im Sommer 2020 festgesetzt worden war, wurde nun vor etwas mehr als einem Monat auch die Sea-Watch 4 im Hafen behalten, um sie einer Kontrolle zu unterziehen. Laut dem Seenotretter-Bündnis United4Rescue ist es bereits das fünfte Mal, dass ein ziviles Rettungsschiff festgesetzt wird. 2019 war die Sea-Watch 3 fast sechs Monate lang beschlagnahmt worden. Die Sea-Watch 4 war zuletzt bei einem Rettungseinsatz im Mittelmeer unterwegs.
Gegen die Festsetzung hat die Hilfsorganisation Sea-Watch daher nach eigenen Angaben beim Verwaltungsgericht in Palermo Widerspruch eingelegt. Aus Sicht der Hilfsorganisation handelt es sich dabei um Willkür, wie sie am Freitag mitteilte. Die italienischen Behörden werfen der Hilfsorganisation nach deren Angaben vor, dass die Sea-Watch 4 zu viele Rettungswesten an Bord habe und dass das Abwassersystem nicht für die Anzahl möglicher geretteter Personen ausgelegt sei. Die Organisation bezeichnet die Gründe als fadenscheinig.
EuGH zu Vorlagefrage: Grundlose Kontrollen unzulässig
Sea Watch hatte beim Regionalen Verwaltungsgericht Sizilien (Italien) zwei Klagen auf Nichtigerklärung dieser Maßnahmen erhoben. In diesem Rahmen machte Sea Watch geltend, dass die Hafenbehörden die den Behörden des Hafenstaats zustehenden Befugnisse überschritten hätten.
Das Regionale Verwaltungsgericht Sizilien legte dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vor, um den Umfang der Kontroll- und Festhaltebefugnisse des Hafenstaats in Bezug auf Schiffe zu klären, die von humanitären Organisationen betrieben werden.
Darüber hat dieser nun entschieden. Schiffe humanitärer Organisationen, die eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen auf See ausüben, vom Hafenstaat einer Kontrolle unterzogen werden, so der EuGH. Die Festhaltemaßnahmen dürften allerdings nur im Fall einer eindeutigen Gefahr für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt getroffen werden.
Grundsätzlich übe die humanitäre Organisation Sea Watch mit Sitz in Deutschland eine systemische Tätigkeit zur Suche und Rettung von Personen aus, so der EuGH. Dabei nutzen sie die Schiffe Sea-Watch 3 und Sea-Watch 4, die unter deutscher Flagge fahren und als Frachtschiffe zertifiziert wurden.
Hohe Passagierzahl allein reicht nicht
Im Sommer 2020 führten diese beiden Schiffe Rettungseinsätze durch und schifften aus Seenot gerettete Personen in den Häfen von Palermo und Porto Empedocle (Italien) aus. Anschließend überprüften die Hafenbehörden die Schiffe. Zur Begründung führten sie an, dass die Schiffe für die Suche und Rettung auf See nicht zertifiziert seien und eine weitaus höhere Anzahl von Personen an Bord aufgenommen hätten als zulässig.
Der EuGH stellte nun fest, dass die Behörden für eine Kontrolle detailliert nachweisen müssen, "dass belastbare Anhaltspunkte für eine Gefahr für die Gesundheit, die Sicherheit, die Arbeitsbedingungen an Bord oder die Umwelt vorliegen". Allein die Anzahl der Personen an Bord sei für sich genommen kein Grund für eine Überprüfung.
Der EuGH betonte, dass es im Völkerrecht die Pflicht gebe, Personen in Seenot zu helfen. Menschen, die nach einem Rettungseinsatz an Bord seien, müssten bei Sicherheitsüberprüfungen außer Betracht bleiben. "Die Anzahl der Personen an Bord, selbst wenn sie weit über der zulässigen Anzahl liegt, kann daher für sich genommen keinen Grund darstellen, der eine Kontrolle rechtfertigt", teilte der EuGH mit. Nachdem die Geretteten von Bord gegangen seien, dürfe der Hafenstaat das Schiff jedoch kontrollieren.
Zuletzt weist der EuGH bei Vorliegen von Gründen, die ein Festhalten des Schiffes rechtfertigen, auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen Hafenstaat und Flaggenstaat hin.
Nach dem Grundsatzurteil des EuGH muss nun ein italienisches Gericht in dem konkreten Fall entscheiden. Sea-Watch rechnet damit, dass der Prozess vor dem Gericht in Palermo im Herbst weitergehen könnte.
dpa/ku/LTO-Redaktion
EuGH zu "Sea-Watch"-Vorlagefrage: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49199 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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