Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Staatsanleihekäufen der EZB hat europaweit für Wirbel gesorgt. Einige sahen gar die europäische Rechtsgemeinschaft in Gefahr. Nun bereitet die EU-Kommission offenbar rechtliche Schritte vor.
Die EU-Kommission bereitet wegen eines umstrittenen Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu milliardenschweren Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vor. Die formale Entscheidung über die Eröffnung solle bis Mittwoch im schriftlichen Verfahren fallen, meldet die Deutsche Presse-Agentur (dpa) unter Berufung auf EU-Kreise.
Anschließend hätte Deutschland dann gemäß Art. 258 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zunächst einige Monate Zeit, schriftlich auf die Bedenken der EU-Kommission zu reagieren. Sollten die Sorgen der EU-Kommission im Laufe des Verfahrens nicht ausgeräumt werden, könnte sie gegen Deutschland ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anstrengen.
Hintergrund ist eine Entscheidung des BVerfG von Mai 2020. Der Zweite Senat hatte hierbei die Wertpapierkäufe der EZB ebenso wie ein einschlägiges Urteil des EuGH als ausbrechende Rechtsakte ("ultra vires") bewertet. Das Urteil hatte 2020 teils Zustimmung, aber auch große Kritik ausgelöst und Fragen über das Verhältnis von BVerfG und EuGH aufgeworfen, weshalb sich in einem ungewöhnlichen Schritt auch Richter des BVerfG hierzu öffentlich äußerten.
Von der Leyen: EuGH-Urteile sind bindend
Grundsätzlich kommt dem Europarecht innerhalb der Europäischen Union ein Anwendungsvorrang vor nationalem Recht zu. Die EZB ist zudem politisch unabhängig. Diese Grundsätze sahen Kritiker durch das Urteil gefährdet. Die Verfassungsrichter des Zweiten Senats argumentierten hingegen, die Notenbank habe mit dem 2015 gestarteten Programm ihr Mandat für die Geldpolitik überspannt. Bundesregierung und Bundestag sollten darauf hinwirken, dass Europas Währungshüter nachträglich prüfen, ob die Käufe verhältnismäßig sind. Mittlerweile haben Bundesregierung und Bundestag das Urteil des BVerfG umgesetzt, wie das Gericht in einem Beschluss von Ende April feststellte.
Die EZB hatte zwischen März 2015 und Ende 2018 rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere gesteckt - den allergrößten Teil über das Programm PSPP (Public Sector Purchase Programme), auf das sich das Urteil bezieht. Zum 1. November 2019 wurden die umstrittenen Käufe neu aufgelegt, zunächst in vergleichsweise geringem Umfang von 20 Milliarden Euro im Monat.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte bereits kurz nach dem Urteil angekündigt, ein Verfahren gegen Deutschland zu prüfen. Damals bestand vor allem die Sorge, andere Länder könnten sich ein Beispiel am Vorgehen der deutschen Verfassungsrichter nehmen und künftig ebenfalls EuGH-Urteile ignorieren. Im Blick ist dabei unter anderem Polen.
"Ich nehme diese Sache sehr ernst", betonte von der Leyen im Mai 2020. Sie argumentierte, dass es drei Grundprinzipien gebe: Die Währungspolitik sei allein Sache der EU; EU-Recht habe Vorrang vor nationalem Recht; EuGH-Urteile seien für nationale Gerichte bindend. "Das letzte Wort zu EU-Recht wird immer in Luxemburg gesprochen. Nirgendwo sonst."
jb/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
Wegen PSPP-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: . In: Legal Tribune Online, 08.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45150 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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