Die EU-Kommission dementiert, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das geplante deutsche Gesetz zur Vorratsdatsdatenspeicherung angedroht zu haben. Sie sei "nicht bereit, dieses Spiel mitzuspielen". Ihre Kritik in der Sache bleibt aber rüde.
"Medienberichte, wonach die Europäische Kommission Deutschland wegen des deutschen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung mit einer Klage droht, sind falsch". Mit diesen deutlichen Worten dementiert die EU-Kommission am heutigen Mittwoch einen Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom Dienstag, die unter Berufung auf eine ihr vorliegende "negative Stellungnahme" der Kommission gemeldet hatte, diese drohe Deutschland, wie auch hinsichtlich der PKW-Maut, mit einem Vertragsverletzungsverfahren.
Seitdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung annulliert hat, habe die Europäische Kommission klargestellt, dass die Entscheidung über die Einführung nationaler Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung den Mitgliedstaaten zusteht. Sie habe nicht die Absicht, hinter dieser Erklärung zurückzubleiben oder alte Diskussionen wieder anzufachen, heißt es in dem Statement.
In der "heiklen, ideologischen Debatte" um die Vorratsdatenspeicherung gebe es die Versuchung, die Kommission einzubeziehen. "Die Europäische Kommission ist nicht bereit, dieses Spiel mitzuspielen" und ziehe eine Klage gegen das geplante deutsche Gesetz nicht in Betracht. Sie sei weder gegen noch für die Einführung nationaler Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung.
Stellungnahme enthält keine Ankündigung eines Vertragsverletzungsverfahrens
Tatsächlich enthält die am gestrigen Dienstag von netzpolitik.org veröffentlichte Stellungnahme der EU-Kommissarin für Binnenmarkt, Industrie und Unternehmen, Alzbieta Bienkowska, keine direkte Ankündigung eines Vertragsverletzungsverfahrens. Es heißt dort vielmehr, dass wenn Deutschland den bisher geplanten Entwurf ohne Berücksichtigung der Einwände der Kommission annehmen sollte, die Kommission sich "zur Übersendung eines Mahnschreibens gemäß Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gezwungen sehen könnte".
Das ist zunächst lediglich ein Hinweis auf die Rechtslage, nämlich auf die Möglichkeit der Kommission, eine Stellungnahme zu einem Gesetzesverstoß durch einen Mitgliedstaat abzugeben, wenn sie diesem zuvor Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Erst wenn der Mitgliedstaat auf diese Stellungnahme nicht reagieren würde, könnte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren anstreben. Die Kommission stellte also klar, dass ihre Stellungnahme nebst Frist zur Äußerung durch die Bundesregierung bis zum 6. Oktober gerade noch kein Mahnschreiben i.S.v. Art. 258 Abs. 1 AEUV ist, welches einem Vertragsverletzungsvefahren vorangehen müsste.
Für Datenschutzrechtler Prof. Niko Härting, der das Papier noch am Dienstag bei CR-Online kommentierte, ist das heutige Dementi der Kommission daher wenig überraschend: "Die Kommission äußert gravierende Zweifel, ob die Bundesregierung die strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen beachtet hat, die sich aus dem Urteil des EuGH ergeben. Von einem Vertragsverletzungsverfahren ist hingegen keine Rede – das wäre auch gar nicht möglich, denn dafür bräuchte es ein verabschiedetes Gesetz".
"Die Angelegenheit wird derzeit in konstruktiver Weise besprochen"
So weit ist Deutschland aber gerade noch nicht. Die eigentlich vor der Sommerpause geplante Verabschiedung wurde im Juni verschoben, weil die zweite und dritte Lesung angesichts der vielen Bedenken erst nach einer ausreichenden Beratungszeit stattfinden sollten. Außerdem müsse, so SPD-Fraktionsschef Thomas Oppermann im Juni, noch eine Notifizierung durch die EU-Kommission stattfinden.
Im Rahmen dieses Notifizierungsverfahrens kam es zu der kritischen Stellungnahme von Alzbieta Bienkowska, welche die SZ zu der Meldung veranlasste. Geplante nationale Gesetze, die den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen in der Informationsgesellschaft angehen, müssen von der Kommission notifiziert werden – laut der Kommission ein "präventiver, technischer Mechanismus", der ihr und anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, im Bedarfsfall zu reagieren, wenn sie meint, dass eine technische Vorschrift den freien Waren- oder Dienstleistungsverkehr einschränkt. Die Angelegenheit werde derzeit "zwischen den deutschen Behörden und den Dienststellen der Kommission in konstruktiver Weise besprochen".
Eine diplomatische Umschreibung der recht deutlichen Worte in der Stellungnahme. Auch wenn diese keine Androhung enthält, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, hält die Kommission die geplante Verpflichtung der Provider, Vorratsdaten nur in Deutschland zu speichern, offenbar für rechtswidrig, weil sie Anbieter in anderen Mitgliedstaaten benachteilige. Jedenfalls die von Deutschland im Rahmen der Notifizierung bisher vorgelegten Informationen rechtfertigten diese Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nicht, heißt es.
"Daten und Studien" zur Notwendigkeit einer Speicherfrist von 4 bzw. 10 Wochen
Und die Kommission nutzt die Gelegenheit auch noch für andere "Bemerkungen". Für bemerkenswert hält sie etwa die geplante Speicherung der Verkehrsdaten von Anwälten. Der EuGH hatte für sie explizit einen gesteigerten Schutz gefordert; der Kommission reicht es dafür offenbar nicht aus, dass die Daten zwar nicht verwertet, aber dennoch erhoben und gespeichert werden sollen.
Die "Straftat von erheblicher Bedeutung", welche den Strafverfolgungsbehörden den Zugang zu Verkehrsdaten von Beschuldigten ermöglicht, sei nicht hinreichend bestimmt, eine vorherige und nachträgliche Überprüfbarkeit dieses Zugangs durch die Gerichte vermisst die Kommission gleichfalls.
Wer das als Details ansieht, welche Deutschland nachbessern könnte, hat allerdings die erste "Bemerkung" der Komission überlesen: "Die faktischen Elemente und Nachweise (d. h. statistische Daten oder Studien), die der Bewertung zugrunde liegen, dass eine Speicherfrist von 4 bzw. 10 Wochen unbedingt notwendig ist, um das verfolgte Ziel des Allgemeininteresses zu erreichen, sollten bereitgestellt und erläutert werden."
Pia Lorenz, Kommission dementiert SZ-Bericht: . In: Legal Tribune Online, 16.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16911 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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