Ist es wirklich noch Bereitschaftszeit, wenn man in voller Montur zuhause sitzt, um im Ernstfall rechtzeitig auf der Arbeit zu sein? Mit dieser Frage muss sich der EuGH auseinandersetzen, nun hat der Generalanwalt Schlussanträge gestellt.
Bereitschaftszeit kann aus Sicht des zuständigen Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH) als Arbeitszeit gelten, wenn Beschäftigte rasch einsatzbereit sein und mit häufigen Einsätzen rechnen müssen. Diese Einschätzung vertrat Giovanni Pitruzzella am Dienstag in seinen Schlussanträgen zum Fall eines Feuerwehrmanns aus Offenbach (06.10.2020 Az. C-580/19).
Der Feuerwehrmann aus Deutschland, dessen Fall es im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Luxemburg geschafft hat, darf seine Bereitschaft zwar außerhalb der Dienststelle verbringen. Doch er hat die Vorgabe, binnen 20 Minuten in Arbeitskleidung und mit dem Einsatzfahrzeug die Stadtgrenze erreichen zu müssen. Aus Sicht des Generalanwalts kann die Bereitschaftszeit in dem Fall des deutschen Feuerwehrmannes unter Umständen sehr wohl als Arbeitszeit eingestuft werden. Prüfen muss das jedoch das in Deutschland mit dem Fall befasste Verwaltungsgericht Darmstadt. Maßstab sei, so Pitruzella, ob die tatsächliche Ruhezeit des Arbeitnehmers sichergestellt ist oder nicht.
Für seine Rechtsauffassung spreche, dass die "Intensität der Einschränkungen" ausschlaggebend dafür sei, ob Bereitschaft als Arbeits- oder als Ruhezeit eingestuft werden muss, so der Generalanwalt. Dabei gehe es um die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers, die geforderte Reaktionszeit und andere Indizien. Zu berücksichtigen sei auch, ob Arbeitnehmer in Bereitschaft tatsächlich mit einem Einsatz rechnen müssen. Häufige Einsätze könnten die Chance, die Freizeit zwecks Erholung planen zu können, fast auf Null reduzieren. Verlangt der Arbeitgeber noch eine kurze Reaktionszeit, beeinträchtige dies die tatsächliche Ruhezeit des Beschäftigten erheblich.
Wie schnell muss der Arbeitnehmer vor Ort sein?
Insbesondere die Reaktionszeit auf den Ruf des Arbeitgebers sei ein entscheidender Faktor, heißt es in den Schlussanträgen. Denn diese beeinflusse die Freiheit des Arbeitnehmers, sich seinen eigenen Interessen zu widmen und sich "im Wesentlichen auszuruhen, unmittelbar objektiv und eindeutig."
Eine Reaktionszeit von wenigen Minuten, wie etwa im Fall des deutschen Feuerwehrmanns, gestatte keine Planung der eigenen Ruhezeit. Eine angemessene Reaktionszeit hingegen ermögliche es dem Mann, sich während der Rufbereitschaft anderen Tätigkeiten zu widmen, auch wenn er sich bewusst ist, dass ein Ruf in den Dienst jederzeit möglich ist. Insgesamt komme es auf die Gesamtwirkung aller genannten Kriterien an.
Zwar liege es auf der Hand, dass die Rufbereitschaft die Freiheit des Arbeitnehmers in gewissem Umfang einschränke, betonte Pitruzzella. Ziel des Unionsrechts sei es allerdings, zu verhindern, dass diese Beschränkungen zu sehr ausufern und faktisch keine Freizeit mehr zulassen.
dpa/vbr/LTO-Redaktion
EuGH-Schlussanträge: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43029 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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