EuGH: Flug­li­nien haften für psy­chi­sche Unfall­folgen

20.10.2022

Ein Fluggast, der infolge eines Unfalls eine medizinisch nachweisbare und behandlungsbedürftige psychische Beeinträchtigung erleidet, kann von der Fluglinie Schadensersatz verlangen. Das entschied der EuGH.

Fluggäste können für eine psychische Beeinträchtigung, die sie durch einen Unfall an Bord oder beim Ein- oder Aussteigen erlitten haben, Schadensersatzansprüche gegen die verantwortliche Fluglinie geltend machen. Voraussetzung dafür ist, dass die psychische Beeinträchtigung medizinisch nachweisbar und behandlungsbedürftig ist und damit einer Körperverletzung im eigentlichen Sinne entspricht. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag (Urt. v. 20.10.2022, Rs. C-111/21). 

Der österreichische Oberste Gerichtshof hat einen Rechtsstreit zwischen einer Flugreisenden und Laudamotion zu entscheiden. Eine Flugreisende verlangt von Laudamotion Schadensersatz wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sie bei einer Notfallevakuierung des Flugzeugs, mit dem sie befördert werden sollte, erlitten hat und deretwegen sie sich in ärztlicher Behandlung befindet. Sie hatte das Flugzeug über einen Notausstieg verlassen und war durch den Jetblast des rechten Triebwerks, das noch in Bewegung war, mehrere Meter durch die Luft geschleudert worden.

Laudamotion ist der Ansicht, dass Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Übereinkommen von Montreal), das hier ausschließlich anwendbar sei, eine Haftung nur für Körperverletzungen im eigentlichen Sinne, nicht aber für bloß psychische Beeinträchtigungen vorsieht.

Der Oberste Gerichtshof hat hierzu den EuGH um Auslegung des Übereinkommens ersucht.

Psychische Beeinträchtigung mit Körperverletzung vergleichbar

Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass es im vorliegenden Fall um eine medizinisch nachgewiesene psychische Beeinträchtigung geht, die keinen Zusammenhang mit einer Körperverletzung in ihrer gewöhnlichen Bedeutung aufweist.

Ein Fluggast, der infolge eines Unfalls eine psychische Beeinträchtigung erlitten habe, könne sich jedoch je nach Schwere des daraus resultierenden Schadens in einer Lage befinden, die mit der eines Fluggastes vergleichbar sei, der eine Körperverletzung erlitten habe.

Angesichts der Entstehungsgeschichte und der Ziele des Übereinkommens von Montreal sei daher davon auszugehen, dass dieses es zulasse, Schadensersatz für eine durch einen Unfall verursachte psychische Beeinträchtigung zu leisten, die keinen Zusammenhang mit einer "Körperverletzung" im Sinne des Übereinkommens aufweise.

Beeinträchtigung muss nachgewiesen werden

Allerdings müsse für einen angemessenen Interessenausgleich der Beteiligten gesorgt werden. Daher könne die Haftung des Luftfahrtunternehmens auf der Grundlage des Übereinkommens von Montreal nur dann ausgelöst werden, wenn der verletzte Fluggast u. a. mittels eines medizinischen Gutachtens und Belegen über eine ärztliche Behandlung rechtlich hinreichend nachweist, dass eine Beeinträchtigung seiner psychischen Integrität vorliegt, die er infolge eines "Unfalls" im Sinne des Übereinkommens erlitten hat  - und die von solcher Schwere oder Intensität ist, dass sie sich insbesondere in Anbetracht ihrer psychosomatischen Wirkungen auf seinen allgemeinen Gesundheitszustand auswirkt und nicht ohne ärztliche Behandlung abklingen kann.

Diese Auslegung ermögliche es sowohl verletzten Fluggästen einen angemessenen Schadenersatz zu erlangen als auch Luftfahrtunternehmen, sich gegen betrügerische Schadensersatzklagen zu schützen.

pab/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH: . In: Legal Tribune Online, 20.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49940 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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