Der EuGH hat ein Grundsatzurteil zur Schadstoffmessung gefällt: Schon die Überschreitung von Grenzwerten an einzelnen Messstationen gelte als Verstoß und jeder könne deren Standort gerichtlich überprüfen lassen.
Schlechte Luft in der Innenstadt, Kritik aus Brüssel, Fahrverbote: Deutschland und andere Staaten stehen unter Druck, weil in Dutzenden Städten der EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid überschritten wird. Aber wird überhaupt richtig gemessen? Und wie schlimm ist es, wenn an einem einzigen Punkt ein Grenzwert gerissen wird? Zur Messung von Luftschadstoffen in Europa hat der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nun ein Grundsatzurteil gefällt – und den Mitgliedsstaaten strenge Vorgaben gemacht (Urt. v. 26.06.2019, Rechtssache C-723/17).
Schon die Überschreitung von Grenzwerten an einzelnen Messstellen gelte als Verstoß gegen EU-Regeln, befanden die obersten Richter am Mittwoch in Luxemburg. Bürger können zudem bei Gericht überprüfen lassen, ob Messstationen richtig platziert sind.
Jeder einzelne Messpunkt ist entscheidend
Im konkreten Fall hatten mehrere Brüsseler Bürger und die Umweltorganisation ClientEarth in Belgien geklagt, weil in der Hauptstadt aus ihrer Sicht zu wenig gegen schmutzige Luft tut getan wird. Formal geht es darum, ob der Brüsseler Luftreinhalteplan EU-Recht genügt. Das zuständige belgische Gericht bat den EuGH bei zwei Fragen um Auslegung der EU-Richtlinie über Luftqualität: Können Bürger gerichtlich überprüfen lassen, ob an der richtigen Stelle gemessen wird? Und ist ein zu hohes Ergebnis für Stickstoffdioxid, Feinstaub oder andere Schadstoffe an einem einzigen Messpunkt schon eine Verletzung des EU-Grenzwerts?
Die zuständige Generalanwältin Juliane Kokott hatte in einem Gutachten im Februar dafür plädiert, ein Klagerecht einzelner betroffener Bürger zu bestätigen. Zudem soll aus ihrer Sicht tatsächlich der Wert einer einzelnen Messstation maßgeblich für Grenzwertverletzungen sein, nicht der Mittelwert mehrerer Punkte. Kokott argumentierte, dass überall, wo Grenzwerte überschritten werden, Gesundheitsfolgen zu befürchten seien.
Dem schlossen sich die Luxemburger Richter nun im Ergebnis an. Sie befanden, dass schon ein überhöhter Wert von Feinstaub, Stickstoffdioxid oder anderen in der EU-Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft für Europa genannte Schadstoffe an einzelnen Messstationen als Verstoß gelte. Denn dort drohten Gesundheitsschäden. Durchschnittswerte für ein größeres Gebiet oder einen Ballungsraum hätten wenig Aussagekraft.
Jeder einzelne Bürger kann klagen
Die Richtlinie sähe zudem vor, dass Messstationen so einzurichten seien, dass sie Informationen über die am stärksten belasteten Orte lieferten, erklärten die Luxemburger Richter weiter. Die nationalen Behörden müssten die Standorte also so auswählen, dass die Gefahr unbemerkter Überschreitungen von Grenzwerten minimiert werde.
Damit steht den Behörden zwar ein Ermessen hinsichtlich der Wahl des Standorts zu. Dieses sei aber gerichtlich überprüfbar, so der EuGH. Jeder Einzelne könne also bei den nationalen Gerichten sicherstellen lassen, dass die Messstellen nach den in der Richtlinie festgelegten Kriterien eingerichtet wurden. Die Gerichte dürften gegenüber den Behörden dann alle erforderlichen Maßnahmen treffen.
Die Platzierung von Messstellen und die Spielräume bei der Einhaltung von Grenzwerten sind in der Debatte über Diesel-Fahrverbote auch in Deutschland immer wieder umstritten. In Deutschland werden an vielen Stellen Schadstoffwerte überschritten. 2018 wurde dem Umweltbundesamt zufolge in 57 Städten gegen den EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid verstoßen. CSU-Politiker äußerten in der Vergangenheit immer wieder Zweifel an der Platzierung der Apparate und der Aussagekraft der Messwerte. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer kritisierte etwa, dass Geräte direkt an Kreuzungen oder Busbahnhöfen aufgebaut würden.
dpa/mgö/LTO-Redaktion
EuGH zur Messung der Luftqualität: . In: Legal Tribune Online, 26.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36105 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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