EuGH kippt geplante deutsche Infrastrukturabgabe: Die Maut ist vom Tisch

18.06.2019

Rückschlag für Verkehrsminister Andreas Scheuer und die CSU: Deren Prestigeprojekt Pkw-Maut verstößt gegen Europarecht, so der EuGH. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maut hatte es schon lange gegeben.

Die geplante Einführung der Pkw-Maut in Deutschland ist nach jahrelangem Streit geplatzt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärte das Prestigeprojekt der CSU in der großen Koalition am Dienstag für rechtswidrig, weil es Autofahrer aus dem Ausland benachteilige (Urt. v. 18.06.2019, Az. C-591/17). Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und die SPD machten klar, dass das beschlossene Modell damit vom Tisch ist. Der Bund muss nun auch offene Finanzfragen lösen, da schon vor dem Urteil Maut-Vorbereitungen angelaufen sind.

Die Luxemburger Richter gaben einer Klage Österreichs statt. Die Ausgestaltung der sogenannten Infrastrukturabgabe sei diskriminierend, da ihre wirtschaftliche Last praktisch allein auf Haltern und Fahrern von Autos liege, die in anderen EU-Staaten zugelassen sind. Zwar stehe es den Mitgliedsstaaten grundsätzlich frei, zur Finanzierung ihrer Infrastruktur Gebühren für die Straßennutzung zu erheben - doch dürften dabei Fahrer aus anderen EU-Staaten nicht benachteiligt werden. Genau dies geschehe aber bei der deutschen Maut, denn:

Das Gesetz sah zwar vor, dass deutsche Autofahrer genauso wie ausländische die Pkw-Maut entrichten müssten. Allerdings sollten Inländer über eine Erleichterung bei der Kfz-Steuer vollständig entlastet werden, wodurch effektiv keine Mehrbelastung zum Status Quo entstanden wäre. Diese Steuervergünstigung sollte die Bedingung im Koalitionsvertrag von 2013 umsetzen, Deutsche im Falle der Einführung einer Maut nicht zusätzlich zu belasten. Geplant war, dass alle inländischen Autobesitzer für Autobahnen und Bundesstraßen eine Jahresmaut zahlen, die vom Konto abgebucht wird und sich nach Größe und Umweltfreundlichkeit des Motors richtet. Im Schnitt sollte sie 67 Euro kosten, maximal 130 Euro. Autofahrer aus dem Ausland sollten zum Schutz der Wirtschaft in den Grenzregionen nur für Autobahnen zahlen. Sie sollten neben der Jahresmaut auch zwei Kurzzeittarife für zehn Tage oder zwei Monate buchen können. 

EuGH folgt nicht dem Generalanwalt

EuGH-Generalanwalt Nils Wahl hatte die Maut in seinen Schlussanträgen im Februar noch anders beurteilt. Damals war er der Auffassung, deutsche Autofahrer würden nicht besser behandelt, da die Kosten des Autobahnnetzes bisher hauptsächlich von den Steuerzahlern in Deutschland getragen würden. Die Entscheidung des EuGH kam nun etwas überraschend, da der Gerichtshof den Anträgen der Generalanwälte in der Regel zu folgen pflegt.

Nun aber wählte der EuGH einen anderen Weg. Die Maut sei nicht nur diskriminierend, sie verstoße im Übrigen auch gegen die europarechtlichen Grundsätze des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs, der dadurch behindert werden könne, dass sich Transportkosten für Lieferanten und damit Preise von Produkten erhöhten. Der EuGH monierte zudem, dass es für Inländer keine Möglichkeit geben sollte, eine Kurzzeitmaut zu wählen, die der tatsächlichen Nutzung der Straßen besser entspräche.

Gegen die Maut hatte es sowohl im In- als auch im Ausland schon lange Bedenken und Kritik gegeben. Nicht nur hatten Juristen von außen deutliche Zweifel am Vorhaben geäußert, auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hatte die Maut für rechtswidrig befunden - sie passierte dennoch das deutsche Gesetzgebungsverfahren. Die EU-Kommission hatte 2016 nach langem Ringen und Nachbesserungen ihre Bedenken gegen die deutsche Maut fallen gelassen. Österreich zog daraufhin vor Gericht.

Scheuer: Maut "in dieser Form vom Tisch"

Verkehrsminister Scheuer sagte nach dem Urteil, mit der Entscheidung sei die Pkw-Maut "in dieser Form leider vom Tisch". Eine Arbeitsgruppe des Ministeriums solle nun finanzielle und organisatorische Folgen klären. Hintergrund sind unter anderem vorgesehene Stellen beim Kraftfahrt-Bundesamt. Zudem sind schon Zuschläge für die privaten Betreiber erteilt worden, die sich um Erhebung und Kontrolle kümmern sollten - daraus könnten dem Bund Entschädigungsansprüche drohen. Die Maut-Gesetze sind seit 2015 in Kraft, wurden aber nicht angewandt.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ mögliche Konsequenzen vorerst offen. Das Urteil sei zu akzeptieren und zur Kenntnis zu nehmen. Scheuer werde die Situation analysieren. "Und dann werden wir sagen, wie wir weiter vorgehen." Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sich als damaliger CSU-Chef maßgeblich für die Maut eingesetzt hatte, sagte: "Man muss Gerichtsurteile akzeptieren, aber man muss sie nicht verstehen." Nach seiner Einschätzung wird die Entscheidung die Zustimmung gegenüber europäischen Institutionen nicht erhöhen.

Das Bundesverkehrsministerium hatte aus der Infrastrukturabgabe nach Abzug der Systemkosten einen Ertrag von jährlich 500 Millionen Euro in Aussicht gestellt - zweckgebunden für Straßen-Investitionen. Daran gab es aber bis zuletzt Zweifel. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte: "Diese CSU-Maut hätte Ausländer diskriminiert und wäre nebenbei noch ein fettes Minusgeschäft." Der Autofahrerclub ADAC forderte einen völligen Verzicht auf eine Pkw-Maut. Die Koalition habe eine Mehrbelastung heimischer Autofahrer ausgeschlossen. Dieses Versprechen müsse nun auch eingehalten werden.

Österreichs Verkehrsminister Andreas Reichhardt begrüßte das Urteil. Die Richter hätten zum Glück Klarheit geschaffen. Die Regierung in Wien war bei der Klage von den Niederlanden unterstützt worden. Es war einer der seltenen Fälle, in dem ein EU-Staat gegen einen anderen ein Verfahren wegen der Verletzung von EU-Recht eingeleitet hat. Die EU-Kommission hatte Bedenken gegen die deutschen Maut-Pläne fallengelassen, nachdem Berlin einige Änderungen am Modell zugesagt hatte.

dpa/mam/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH kippt geplante deutsche Infrastrukturabgabe: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35985 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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