Neue Technologien machen es einfacher, Nutzpflanzen zu verändern und zum Beispiel resistenter zu machen. Auch diese modernen Methoden unterliegen aber den strengen Anforderungen an gentechnisch veränderte Organismen, entschied der EuGH.
Präziser, schneller, günstiger: Mit neuen Verfahren kann man Pflanzen effizient gentechnisch verändern. Ob es sich dabei rechtlich auch um Gentechnik handelt, die nach europäischem Recht hohen Anforderungen unterliegt, ist umstritten. Deshalb hatte nun am Mittwoch der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu entscheiden.
Den Streit bis nach Luxemburg gebracht hatten französische (Landwirtschafts-)Verbände, die wie zahlreiche weitere Kritiker befürchteten, dass in den kommenden Jahren gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne Sicherheitsprüfung oder Kennzeichnung auf den Markt gelangen könnten. Das nämlich hätte Wirklichkeit werden können, wenn die mit den neuen Gentechnik-Methoden erzeugten Produkte nicht der EU-Richtlinie für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) unterlägen. Die klagenden Verbände griffen vor dem EuGH eine französische Regelung an, welche die mit neuen Verfahren erzeugten Produkte von den Vorgaben eben dieser GVO-Richtlinie ausnimmt.
Mit Erfolg: Die Luxemburger Richter entschieden, dass die strengen Anforderungen der GVO-Richtlinie auch für die mittels neuer Methoden erzeugten Produkte gelten. Ausnahmen dürften die Mitgliedstaaten davon nur machen, wenn diese durch ein bereits etabliertes und seit langem als sicher geltendes Verfahren erzeugt wurden (Urt. v. 25.07.2018, Az. C-528/16).
Was ist "gentechnisch verändert"?
Im Streit standen sogenannte Mutagenese-Verfahren, bei denen das Erbgut lebender Arten verändert wird, ohne dass fremden DNA eingeführt wird. In dem französischen Prozess, über den der EuGH zu entscheiden hatte, ging es um die als "DNA-Schere" in den Medien bekannt gewordene biochemische Crispr/Cas-Methode. Mit ihr kann DNA gezielt geschnitten werden, wodurch gewünschte Eigenschaften hinzugefügt und unerwünschte Merkmale eliminiert werden können.
Dagegen werden bei der klassischen als gentechnisch verändert betrachteten Transgenese die Eigenschaften eines Organismus' durch das Einfügen fremder DNA umgeformt. Durch solche Verfahren kann zum Beispiel Saatgut für die Landwirtschaft resistenter gegen Herbizide oder Futtermittel nahrhafter für Nutztiere gemacht werden. Das französische Landwirtschaftsministerium hielt den klagenden Verbänden entgegen, die mittels neuer Verfahren erzeugten Produkte seien bereits keine GVO im Sinne der Richtlinie.
Die klagenden Verbände argumentierten vor dem EuGH, dass sich die Mutagenese-Verfahren im Laufe der Zeit verändert hätten. So seien vor dem Erlass der GVO-Richtlinien nur konventionelle oder zufällige Mutagenese-Methoden an lebenden ganzen Pflanzen eingesetzt worden. Mit dem technischen Fortschritt sei mittlerweile aber die Möglichkeit hinzugekommen, am Erbgut der Pflanzen selbst Veränderungen vorzunehmen. Das könne unabsehbare Folgen auf die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier haben.
Dazu stellte der EuGH nun grundsätzlich klar: Da durch jedes Mutagenese-Verfahren immer Veränderungen am genetischen Material vorgenommen werden, die auf natürliche Weise nicht möglich wären, fallen so veränderte Organismen grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Richtlinie.
Ausnahme für ältere Methoden möglich, aber nicht zwingend
Die Richtlinie selbst sieht für GVO, die durch ein seit langem etabliertes und als sicher geltendes Mutagenese-Verfahren erzeugt werden, allerdings eine Ausnahme vor. Ob die Mitgliedstaaten diese Ausnahme in nationales Recht übernehmen, überlässt der EuGH mit seiner Entscheidung vom Mittwoch nun den EU-Ländern selbst: Dass es eine Ausnahme gebe, bedeute nicht, dass interessierte Personen gentechnisch veränderte Produkte aus konventioneller Herstellung nach Belieben absichtlich freisetzen oder in der Union als Produkte oder in Produkten in den Verkehr bringen dürfen.
Nach Auffassung der Luxemburger Richter steht es den EU-Staaten damit frei, Rechtsvorschriften zu erlassen, die auch die GVO den Regelungen der Richtlinie oder nationalen Normen unterwerfen, die mit bereits bewährten Mutagenese-Verfahren verändert werden. Sie müssten dabei allerdings Unionsrecht beachten, insbesondere die Regeln über den freien Warenverkehr.
Für neuere Mutagenese-Verfahren verbleibt den Mitgliedstaaten hingegen ausdrücklich kein Ausnahme-Spielraum: "In Anbetracht der […] Gefahren würde durch den Ausschluss der mit den neuen Mutagenese-Verfahren gewonnenen Organismen aus dem Anwendungsbereich der GVO-Richtlinie deren Ziel beeinträchtigt, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verhindern", heißt es in der Mitteilung des EuGH zu seiner Entscheidung vom Mittwoch.
Schulze: "Keine Gentechnik durch die Hintertür"
Der Deutsche Bauernverband hat die Entscheidung des EuGH zu den neueren Mutagenese-Verfahren kritisiert. Das Urteil verbaue die Möglichkeiten, mit Hilfe von Pflanzenzüchtung auf die Herausforderungen des Klimawandels zu reagieren, sagte Präsident Joachim Rukwied nach der Verkündung des Urteils: "Die derzeitige Dürre zeigt uns doch gerade exemplarisch, dass wir zukünftig beispielsweise trockenheitstolerantere Sorten brauchen."
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die sich für eine sozial- und umweltverträgliche Landwirtschaft stark macht, begrüßte das Urteil aus Luxemburg hingegen: "Damit stärkt er das Vorsorgeprinzip und stellt es klar vor die Profitinteressen der Gentechnik-Konzerne", sagte deren Vorsitzender Martin Schulz. Die Bundesregierung müsse nun sicherstellen, dass sich die Behörden auch an das Urteil hielten.
Aus Berlin erhielt das Grundsatzurteil bisher ein grundsätzlich positives Echo. Ein Sprecher von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sprach am Mittwoch in Berlin von einer guten Nachricht für die Umwelt und für die Verbraucher. Es dürfe keine Gentechnik durch die Hintertür geben. Eine Sprecherin von Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) begrüßte die rechtliche Klarstellung in einem bedeutenden Forschungsfeld. Trotz großen Innovationspotenzials müsse der gesundheitliche Verbraucherschutz immer an erster Stelle stehen.
ms/LTO-Redaktion
mit Material von dpa
EuGH zum Streit um "DNA-Schere" Crispr: . In: Legal Tribune Online, 25.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29975 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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