EuGH zum Schengener Grenzkodex: Grenz­kon­trollen inn­er­halb der EU nicht länger als sechs Monate

26.04.2022

Wegen der "Migrationskrise" führte Österreich Grenzkontrollen ein – und verlängerte sie immer wieder. Das geht laut EuGH nicht, schließlich sei ein Raum ohne Binnengrenzen die "größte Errungenschaft der EU".

Grundsätzlich darf es in der Europäischen Union (EU) keine Grenzkontrollen geben. Sie dürfen nur bei einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit für die Dauer von sechs Monaten wieder eingeführt werden – und dann nicht beliebig verlängert werden. So hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil vom Dienstag entschieden (Urt. v. 26.04.2022, Rs. C-368/20). Schon der Generalanwalt hatte auf diese besonders strengen Anforderungen bei der Einführung und Verlängerung von Grenzkontrollen in seinen Schlussanträgen hingewiesen.

Österreich hatte im September 2015 wegen der "Migrationskrise" Kontrollen an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien eingeführt und dann immer wieder verlängert. Das Land stützte sich dabei auf vier aufeinanderfolgende Empfehlungen des Rates der EU. Ab dem 11. November 2017 allerdings führte Österreich für mehrere aufeinanderfolgende Zeiträume von sechs Monaten die Kontrollen wieder ein – ohne Empfehlung und auf eigene Initiative hin.

Im Jahr 2019 wurde dann ein Mann gleich zweimal bei der Einreise an der Grenze Slowenien zu Österreich kontrolliert. Er weigerte sich allerdings, seinen Reisepass vorzuzeigen, gegen ihn wurde eine Geldstrafe von 36 Euro verhängt. Weil der Mann der Meinung war, dass die Kontrolle und die Geldstrafen gegen EU-Recht verstoßen und dabei insbesondere gegen den Schengener Grenzkodex, zog er vor das Landesverwaltungsgericht Steiermark. Das Gericht hatte Zweifel an den Kontrollmaßnahmen Österreichs und rief den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens an.

Freier Binnenraum "größte Errungenschaft der EU"

Der stellte nun klar, dass laut Schengener Grenzkodex grundsätzlich gar keine Personenkontrollen stattfinden dürfen. Es handele sich "um die größte Errungenschaft der EU", einen Raum ohne Binnengrenzen zu schaffen. Die Wiedereinführung solcher Kontrollen müsse daher die Ausnahme und letztes Mittel sein. So sei es zwar erlaubt, bei einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit vorübergehend Kontrollen einzuführen, allerdings nicht länger als sechs Monate.

Dieser Zeitraum sei auch ausreichend groß bemessen, so der EuGH. In sechs Monaten könne ein jeder Mitgliedstaat Maßnahmen erlassen, mit denen einer Bedrohung begegnet werden kann. Nach Ablauf der sechs Monate müsse der freie Personenverkehr dann wieder fließen können.

Zwar gebe es Fälle, in denen Mitgliedstaaten auch nach Ablauf der sechs Monate ihre Grenzen kontrollieren dürfen – aber nur, wenn sich eine andere, neue ernsthafte Bedrohung ergeben hat, die sich von der ursprünglichen unterscheidet. In Fällen, in denen das Funktionieren des Schengen-Raums insgesamt gefährdet ist, griffen zudem die Empfehlungen des Rates bei außergewöhnlichen Umständen, wonach Mitgliedstaaten sowieso für eine Höchstdauer von zwei Jahren Grenzkontrollen wieder einführen dürfen.

Österreich dagegen habe im vorliegenden Fall seit dem 10. November 2017, dem Tag des Ablaufs der damaligen Empfehlung des Rates, das Vorliegen einer neuen Bedrohung nicht nachgewiesen. Ob die Kontrollmaßnahmen gegen den Mann deshalb gegen den Schengener Grenzkodex verstießen, muss nun das Landesverwaltungsgericht Steiermark entscheiden. Wenn das der Fall war, dann hätte gegen den Mann auch keine Sanktion verhängt werden dürfen, weil er seinen Reisepass nicht vorgezeigt hat.

pdi/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH zum Schengener Grenzkodex: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48250 (abgerufen am: 16.11.2024 )

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