EuGH zu Vorlagen aus Rumänien: EU-Recht vor natio­naler Ver­fas­sung

21.12.2021

Verstoßen nationale Gerichte gegen Unionsrecht, dann müssen deren Entscheidungen auch unangewendet bleiben. Selbst dann, wenn es Verfassungsgerichte sind. Den Vorrang haben die Mitgliedstaaten schließlich selbst erfunden, so der EuGH.

Unionsrecht geht vor – und zwar auch vor der Rechtsprechung nationaler Verfassungsgerichte. Verstoßen diese nämlich gegen Unionsrecht, dann dürfen andere nationale Gerichte deren Entscheidungen nicht anwenden. Das gebiete der Vorrang des Unionsrechts, so der Europäische Gerichtshof (EuGH) in mehreren Fällen aus Rumänien (Urt. v. 21.12.2021, Rs. C-357/19, C-379/19, C-547/19, C-811/19FQ, C-840/19NC).

Der EuGH hat sich im Rahmen mehrerer Rechtssachen mit der Frage beschäftigt, ob die Anwendung der Rechtsprechung des rumänischen Verfassungsgerichtshofs (VerfGH) zu den für Betrug und Korruption geltenden nationalen Strafverfahrensvorschriften gegen das Unionsrecht verstößt. So hob der VerfGH mehrere Urteile von rumänischen Gerichten auf, die unter anderem Parlamentarier und Minister wegen Mehrwertsteuerbetrugs, Korruption und Einflussnahme verurteilten. Der VerfGH war der Ansicht, dass diese Entscheidungen wegen der rechtswidrigen Besetzung der Spruchkörper nichtig seien. So hätte in einem Fall ein in Korruptionssachen spezialisierter Spruchkörper verhandeln müssen.

In einem anderen Fall erklärte der VerfGH die unter Beteiligung des rumänischen Nachrichtendienstes erfolgte Erhebung von Beweisen in Strafsachen für nichtig.

Zwei rumänische Gerichte wollten nun vom EuGH wissen, ob diese Entscheidungen des VerfGH mit Unionsrecht vereinbar sind. Zudem haben sie die Frage aufgeworfen, ob die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts und der richterlichen Unabhängigkeit es ihnen erlauben, eine Entscheidung des VerfGH unangewendet zu lassen – obwohl das nach rumänischem Recht ein Disziplinarvergehen sei.

Kampf gegen Korruption hat Vorrang

Zunächst stellte der EuGH fest, dass dann ein Verstoß gegen Unionsrecht vorliege, wenn die Rechtsprechung des VerfGH angewendet wird und diese Rechtsprechung in Verbindung mit den nationalen Verjährungsvorschriften zu einer systemischen Straflosigkeit bei Korruption und schwerem Betrug führe. Das sei nämlich zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union.

Grundsätzlich fielen die Vorschriften über die Besetzung der Spruchkörper in Betrugs- und Korruptionssachen zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit müssten die Mitgliedstaaten aber die unionsrechtlichen Verpflichtungen einhalten. Dazu gehöre die Bekämpfung aller die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigenden rechtswidrigen Handlungen – eben auch Korruptionsdelikte seien erfasst. Zudem müsse die Vollstreckung der Strafen effektiv erfolgen. Die nationalen Gerichte müssten daher innerstaatliche Rechtsvorschriften, die der Verhängung wirksamer und abschreckender Strafen entgegenstehen, unangewendet lassen. Zumal die Anwendung der in Rede stehenden Rechtsprechung des VerfGH die Folge hätte, dass die Fälle alle nochmal verhandelt werden müssten, was zu einer sehr langen Verfahrensdauer führen würde und damit ggf. sogar zur Verjährung, sodass eine abschreckende Sanktionierung verhindert werden könnte.

Nicht vereinbar mit Unionsrecht ist es laut EuGH außerdem, wenn es nationalen Gerichten untersagt ist, Entscheidungen des VerfGH unangewendet zu lassen – und zwar unter Androhung von Disziplinarmaßnahmen. Dies verstoße gegen die richterliche Unabhängigkeit und damit gegen Unionsrecht. Die nationalen Gerichte seien aber gerade verpflichtet, jede nationale Regelung oder Praxis, die einer Unionsrechtsbestimmung entgegensteht, unangewendet zu lassen. Das leitet der EuGH aus seiner Rechtsprechung zum EWG-Vertrag ab, in der er den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts entwickelte. Demnach können Mitgliedstaaten dem EWG-Vertrag als gemeinsamer Rechtsordnung keine nationalen Vorschriften entgegensetzen. Das hätten die Vertreter der Mitgliedtsaaten selbst so auch ausdrücklich bei der Annahme des Vertrags erklärt. Andernfalls, so betont es der EuGH, würde dem EU-Recht sein Gemeinschaftscharakter aberkannt und die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft in Frage gestellt.

pdi/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH zu Vorlagen aus Rumänien: . In: Legal Tribune Online, 21.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47017 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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