EuGH zur Vertragsfreiheit: Pol­ni­sche Regeln dis­kri­mi­nieren homose­xu­elle Selbst­stän­dige

12.01.2023

Ein polnischer Fernsehsender will keine Verträge mit einem freien Mitarbeiter schließen, weil dieser homosexuell ist. Der EuGH stellt nun klar, dass der Vertragsabschluss aber nicht wegen der sexuellen Ausrichtung abgelehnt werden darf.

Polen diskriminiert nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) homosexuelle Selbstständige. Das oberste EU-Gericht entschied am Donnerstag in Luxemburg, dass die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78 auch für Selbstständige gelte. Daher dürfe die Zusammenarbeit mit einem Selbstständigen nicht wegen dessen sexueller Ausrichtung beendet werden. Andernfalls würde die Richtlinie ihrer Wirkung beraubt, so das Gericht (Urt. v. 12.01.2023, Rs. C-356/21). 

Hintergrund ist die Klage eines langjährigen freien Mitarbeiters eines polnischen öffentlichen Fernsehsenders. Im Dezember 2017 veröffentlichten er und sein Partner auf Youtube ein Weihnachtsmusikvideo, das für Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren warb. Kurz danach teilte ihm der Fernsehsender mit, dass sein laufender Vertrag beendet worden sei und kein neuer Vertrag geschlossen werde. Er verlangt vor einem polnischen Gericht Schadensersatz. 

Bislang ist es in Polen gestattet, einen Vertrag mit einem Selbstständigen auf Grundlage der freien Wahl des Vertragspartners wegen dessen sexueller Orientierung abzulehnen. Das mit dem Fall befasste polnische Gericht wollte vom EuGH wissen, ob der Sachverhalt unter die Antidiskriminierungsrichtline fällt und ob die polnischen Regelungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Die Generalanwältin kam in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass eine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden kann, dass freie Wahl des Vertragspartners bestehe. 

Der EuGH schloss sich dem an und entschied, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie weit zu verstehen sei und unabhängig von deren Art und Merkmalen den Zugang zu jeglicher beruflichen Tätigkeit erfasse. Der Zweck der Richtline bestehe darin, "alle auf Diskriminierungsgründe gestützten Hindernisse für den Zugang zu Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts und die Fähigkeit, durch Arbeit, egal auf welcher Rechtsgrundlage, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, zu beseitigen". 

Nicht unter die Richtlinie fielen dagegen die bloße Lieferung von Gütern bzw. die Erbringung von Dienstleistungen an einen oder mehrere Empfänger. Damit die Tätigkeit unter den Anwendungsbereich der Richtlinie falle, müsse es sich um eine tatsächliche Tätigkeit handeln, "die im Rahmen einer durch eine gewisse Stabilität gekennzeichneten Rechtsbeziehung ausgeübt werden", so der EuGH. Das vorlegende polnische Gericht müsse noch klären, ob die Tätigkeit des Redakteurs dieses Kriterium erfülle. Vorbehaltlich dieser Feststellung stellte der EuGH fest, dass die Entscheidung, den Vertrag wegen der sexuellen Ausrichtung des Vertragspartners nicht zu verlängern, in den Geltungsbereich der Richtlinie falle. Eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot liege dann auch nicht vor. 

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH zur Vertragsfreiheit: . In: Legal Tribune Online, 12.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50735 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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