EuGH-Generalanwalt zur Massenkrankmeldung bei Tuifly: "Wilder Streik" ist ein außer­ge­wöhn­li­cher Umstand

12.04.2018

Bleibt der Passagier auf seinen Kosten sitzen, wenn sein Flug ausfällt, weil sich das Personal der Airline geschlossen krank meldet? In der Regel schon, legen die nun vorgelegten Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts nahe.

Streiks sind immer wieder ein Ärgernis, nicht nur für Unternehmen, sondern auch für deren Kunden, die nicht zuletzt die Leidtragenden sind. Ganz besonders gilt das für Streiks von Flugpersonal, denn wer ein Ticket für gut und gerne mehrere hundert Euro gebucht hat, bleibt dann auf den Kosten sitzen - freilich ohne von A nach B zu kommen. Grund ist die Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung (VO) Nr. 261/2004. Dieser stellt Airlines im Falle von außergewöhnlichen Umständen von ihrer Entschädigungspflicht frei. Solche sind regelmäßig auch Streiks. Hintergrund ist, dass Unternehmen nicht für Vorfälle, die nicht in ihren Verantwortungsbereich fallen, in Haftung genommen werden sollen.

Nun muss sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage befassen, ob auch ein sogenannter "Wilder Streik" (auch "go-sick") unter die sogenannten außergewöhnlichen Umstände zu subsumieren ist (Az. C-195/17 u. a.). Darunter versteht man Vorfälle wie etwa im Herbst 2016, als mehr als 100 Flüge der Fluggesellschaft Tuifly gestrichen wurden, weil sich ein großer Teil der Mitarbeiter plötzlich krank meldete. Generalanwalt Evgeni Tanchev legte am Donnerstag seine Schlussanträge mit seiner Einschätzung vor. Danach sind auch solche irregulären Arbeitskampfmaßnahmen als Ausnahmetatbestand i. S. d. Fluggastrechte-VO anzuerkennen.

Gerichte lehnten Entschädigungsansprüche mehrheitlich ab

2016 hatte die Tuifly ihre Mitarbeiter über Umstrukturierungspläne in Kenntnis gesetzt, welche bei der Belegschaft auf massiven Widerstand stießen. Die reagierte: Weite Teile der Belegschaft meldeten sich in den folgenden Tagen plötzlich krank, sodass der Flugverkehr der Airline zu einem Großteil zum Erliegen kam. Rechtlich erlaubt ist eine solche Maßnahme, die keine reguläre Streikmaßnahme darstellt, nicht.

Viele Fluggäste mussten umplanen oder ihre Reisen ganz absagen, die Kosten wollte Tuifly nicht übernehmen und verwies auf außergewöhnliche Umstände. Weil die zahlende Kundschaft dies nicht hinnehmen wollte, landete die Sache in mehreren Fällen vor Gericht. Die Gerichte, darunter das Landgericht (LG) Hannover, lehnten die Klagen mehrheitlich ab und ordneten den "wilden Streik" unter die Ausnahmeregelung der Fluggastrechte-VO ein.

Weil aber Unsicherheit ob der Auslegung der VO herrschte, erreichten den EuGH schließlich Vorlagen der Amtsgerichte (AG) in Hannover und Düsseldorf, die um Klärung ersuchten, ob es sich bei Massenkrankmeldungen wie im Fall von Tuifly um außergewöhnliche Umstände handele.

Was ist ein "erheblicher Teil" des Personals?

Generalanwalt Tanchev stellte dazu in seinen Schlussanträgen an den Gerichtshof zunächst klar, dass außergewöhnliche Umstände bei Krankmeldungen nur dann in Betracht kämen, wenn dies einen für die Durchführung der Flüge erheblichen Teil des Personals betreffe. Was genau das bedeutet, sollen die erkennenden Gerichte alleine bestimmen.

Die wesentliche Frage beantwortete er anschließend: Auch "wilde Streiks" seien grundsätzlich als außergewöhnliche Umstände anzusehen, wenn sie für das Unternehmen nicht durch zumutbare Maßnahmen hätten verhindert werden können. Dabei, so stellt Tanchev explizit klar, gehe es nicht darum, ob die Personalausfälle hätten vermieden werden können, sondern darum, ob die Folgen (Flugausfälle, etc.) hätten verhindert werden können.

Der EuGH ist an die Schlussanträge des Generalanwalts zwar nicht gebunden, doch in den meisten Fällen folgt der Gerichtshof den Vorschlägen. Dass dies nun bedeutet, dass Airlines künftig dazu gezwungen sind, unpopuläre Maßnahmen in ihrem Betrieb zu unterlassen, um sich nicht den Schadensersatzansprüchen von Passagieren auszusetzen, ist allerdings unwahrscheinlich. Eine solche Ansicht würde die unternehmerische Freiheit stark einschränken und hat dementsprechend wohl wenig Chancen vor nationalen Gerichten, argumentieren Arbeitsrechtler.

mam/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH-Generalanwalt zur Massenkrankmeldung bei Tuifly: . In: Legal Tribune Online, 12.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28029 (abgerufen am: 13.11.2024 )

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