Wer eine Versorgungsleitung betreibt, soll nicht gleichzeitig das Gas vertreiben - so die Idee hinter der europäischen Gasrichtlinie. Das dagegen auch ein Unternehmen wie die schweizerische Nord Stream 2 klagen kann, hat nun der EuGH entschieden.
Die vom russischen Energiekonzern Gazprom kontrollierte Nord Stream 2 AG darf gegen die EU-Gasrichtlinie klagen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hob am Dienstag einen Beschluss des nachgeordneten Gerichts der Europäischen Union (EuG) auf, das eine Klage des Unternehmens zuvor als abgewiesen hatte (Urt. v. 12.07.2022, Rechtssache C-348/20 P).
Ausgangspunkt war eine Gesetzesänderung der Europäischen Union von 2019, wonach die Gasrichtlinie zukünftig auch für Nicht-EU-Staaten gelten soll. Sie legt Auflagen für Energieunternehmen fest – unter anderem soll der Betrieb einer Versorgungsleitung von dem Vertrieb des Gases getrennt werden.
Daran störte sich unter anderem die Nord Stream 2 AG. Das schweizerische Unternehmen trieb nämlich gerade den Bau einer zweiten Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland voran. Das Gericht der Europäischen Union wies allerdings eine Klage der Gazprom-Tochter gegen die Änderungsrichtlinie als unzulässig ab. Gegen diesen Beschluss legte die Gesellschaft Rechtmittel ein.
Nord Stream 2 AG ist unmittelbar betroffen
Der EuGH hat die Entscheidung der Vorinstanz nun im Wesentlichen aufgehoben und auf zwei Rechtsfehler des EuG bei der Bewertung der Zulässigkeit hingewiesen. Erstens können nicht nur Mitgliedstaaten, sondern auch natürliche oder juristische Personen gegen europäische Gesetze klagen. Zweitens sei die Nord Stream 2 AG von der veränderten Gasrichtlinie unmittelbar betroffen. Beides hatte das EuG noch anders gesehen.
Die Luxemburger Richter stellen klar, dass alle verbindlichen europäischen Bestimmungen mit der Nichtigkeitsklage angefochten werden können. Weil Richtlinien aber primär an die Mitgliedsstaaten adressiert sind, muss der Einzelne darlegen, unmittelbar betroffen zu sein, wenn er Klage erheben will. Dafür muss sich die Richtlinie unmittelbar auf seine Rechtstellung auswirken und den Mitgliedssaaten darf keinerlei Ermessensspielraum bei ihrer Durchsetzung zustehen.
Indem das EuG feststellte, dass eine Richtlinie in keinem Fall selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen könne, solange der Mitgliedsstaat noch keine Maßnahme zu ihrer Umsetzung ergriffen habe, ist der Vorinstanz der erste Rechtsfehler unterlaufen. Denn es komme nicht auf den Rechtsakt selbst, sondern seine Auswirkungen an, heißt es in dem EuGH-Urteil.
Urteil wohl nur symbolische Bedeutung
Und auch bei den Auswirkungen kommt der EuGH zu der gegenteiligen Auffassung als das EuG. Die Änderungsrichtlinie wirke sich unmittelbar auf die Rechtsstellung der Nord Stream 2 AG aus, weil sie als Betreiberin einer Gaspipeline zukünftig auch den Beschränkungen unterworfen ist.
Des Weiteren habe Deutschland keinerlei Ermessensspielraum, die Nord Stream 2 AG ausnahmsweise von der Richtlinie zu befreien. Die Voraussetzungen hierfür lägen nicht vor, weil das Ziel der Richtlinie, die Trennung von Betrieb einer Versorgungsleitung und Vertrieb des Gases, sonst nicht erreicht werden könne.
Der EuGH hat die Rechtssache deswegen an das EuG zurückverwiesen. Dieses hat nun über die Begründetheit der Klage zu entscheiden. Ob das Urteil für die Nord Stream 2 AG allerdings mehr als symbolische Bedeutung hat, blieb zunächst unklar. Grund ist, dass das Unternehmen die gleichnamige Gaspipeline in absehbarer Zeit ohnehin nicht in Betrieb nehmen kann. Das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 wurde im Februar wegen der russischen Eskalation im Ukraine-Konflikt von der Bundesregierung gestoppt.
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
EuGH widerspricht EuG: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49022 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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